Ein Ostpreuße in Plankstadt - Erinnerung an den Uhrmacher Werner Sambalat

Werner Sambalat

Zu den Personen, die mich in Kindheit und Jugend sehr beeindruckten und deshalb auch nicht in Vergessenheit gerieten, gehörte auch ein Mann, der vielen Plänkschtern noch in guter Erinnerung sein dürfte: der Uhrmacher Werner Sambalat.

Er stammte aus Belsen in Ostpreußen und hatte dort begonnen, das Uhrmacherhandwerk zu erlernen. Der Krieg beendete dieses Vorhaben zunächst. In Polen wurde er 1944 bei einer Panzerschlacht am Duklapaß schwer verwundet und nachdem ihn die Amerikaner aus dem Lazarett in Plauen (Vogtland) entlassen hatten, sammelte er in Thüringen weitere praktische Erfahrungen im Reparieren von Uhren. 1948 kam er dann in den Westen, zunächst nach Karlsruhe und dann mit nur 5 DM in der Tasche in die Kurpfalz. Zunächst fand er in Schwetzingen beim Uhrmacher und Juwelier Philipp Arbeit. Es gehörte jedoch zu seinen ureigensten Zielen, unabhängig sein zu wollen; deshalb eröffnete er noch völlig mittellos im Juni 1950 in der Schwetzinger Straße 22 in Plankstadt eine Uhrmacherwerkstätte. Bald schon, im Jahr 1955, bot sich ihm die Gelegenheit, bei Anna Mitsch in der Luisenstraße 4 das kleine Ladengeschäft (heute eine Änderungsschneiderei) zu übernehmen. Viele Jahre war der kleine Laden und vor allem die kleine Werkstatt hinter dem grünen Vorhang Treffpunkt für viele Menschen, die seine Arbeit und seine menschliche Art zu schätzen wußten. Für uns Kinder waren die tickende Uhrenwelt an den Wänden und die unbekannten kleinen Maschinen und Prüfgeräte faszinierend.

Immer gab es etwas zu schauen und zu entdecken. Markante Personen waren bei Werner Sambalat zu finden; so erinnere ich mich gut an einen häufigen Gast, einen Mopedfahrer aus Eppelheim, der wegen seiner auffallenden Beredsamkeit bei den Nachbarn nur unter dem Namen "Der Sprecher" bekannt war – ein Gegenpol zu dem eher stillen Werner Sambalat..

Immer hatte er auch Zeit für ein Schwätzchen; mit seinen Landsleuten über die alte Heimat, mit seinen Hobby-Kollegen über die Jagd, der er mit Leidenschaft frönte oder mit Autobastlern über seine Fahrzeuge, die noch besonders zu erwähnen sind. Nebenbei reparierte er Uhren aller Art und manche Stücke, die man heute bedenkenlos in die Mülltonne werfen würde – oder müßte, weil sie niemand mehr zu reparieren versteht – erwachten unter seinen gar nicht filigranen Händen wieder zu neuem Leben und Funktion. In seinem weißen Kittel und der Uhrmacher-Lupe ins Auge geklemmt – oft schaute er einem damit prüfend an – war Werner Sambalat eine Institution in Plankstadt geworden, einer, der sich durch gar nichts aus der Ruhe bringen ließ; ein stiller, zurückgezogener und äußerst angenehmer Nachbar, der sich durch gediegene und preiswerte Arbeit, Fleiß und Können im Beruf, aber auch durch seine große nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft auszeichnete; einer der bereit war, das Wenige, was er hatte, auch zu teilen. Immer war er auch beim Verkauf der gutmütige und großzügige Mensch, nie der kühle, auf Gewinn bedachte berechnende Geschäftsmann.

Wenn es aber um Motoren ging, dann ging Werner Sambalat auch mal aus sich heraus. Hatte er zunächst ein museumsreifes Motorrad, so wurde sein Messerschmidt-Kabinenroller, den er heiß und innig liebte, fast zu seinem persönlichen Markenzeichen, gab er ihm doch ein Stückchen der angestrebten Unabhängigkeit. Dank seiner Tüftel- und Bastelleidenschaft überlebte das gute Stück weitaus länger, als dies üblicherweise der Fall ist. Denn geschont wurde er von seinem Besitzer keineswegs: Werner Sambalat bereiste mit ihm weite Teile Europas; sogar über die Großglockner-Hochalpenstraße lotste er das kuriose Gefährt.

Bei einer Spritz-Tour nach Heidelberg, zu der mich Werner Sambalat mitgenommen hatte, hatte er allerdings vergessen zu sagen, daß er dort zwei Bekannte am Bahnhof abholen mußte! 

Für Werner Sambalat war der Platzmangel im Kabinenroller nicht der geringste Grund zur Aufregung: so ratterten wir eben zu viert im zweisitzigen Kabinenroller gen Plankstadt – heute eigentlich undenkbar!
Wie sehr er sein Gefährt liebte und wie stolz er darauf war, zeigt eine Episode aus der Zeit, als der Kabinenroller neu war: als sich sein Bruder Otto bei einer Probefahrt etwas abfällig über das Gefährt äußerte, ließ er ihn auf der Stelle aussteigen und von Oftersheim aus laufen, so verärgert war er über dessen Kritik an seinem Fahrzeug – für das er damals nicht einmal einen Autoführerschein benötigte.

Ein Herzenswunsch allerdings blieb ihm in der Zeit des Kalten Krieges versagt: eine Reise in seine geliebte alte Heimat Ostpreußen. Hier mußte er sich mit dem Studium von Landkarten aus diesen Gebieten begnügen, die ihm mein Vater durch seiner beruflichen Tätigkeit besorgen konnte. Noch heute klingt mir seine oft gestellte Frage in seiner ostpreußisch gefärbten Sprache im Ohr, wenn er meinen Vater kommen sah: "Heinz, haste' Karten?" Und glücklich war er, wenn er welche bekam, dann konnte er wenigstens in Gedanken die Stätten seiner Jugend wiederentdecken und stundenlang konnte er mit seiner Lupe über diesen Karten den Erinnerungen an die verlorene Heimat nachhängen. Oft besuchte er das Gebiet am damals noch absolut undurchlässigen "eisernen Vorhang", um wenigstens hinüberzuschauen und seine Gedanken hinüberzuschicken. Ein Freund, der ihn bei einer seiner Exkursionen begleitete, warnte ihn, den Grenzanlagen nicht zu nahe zu kommen, um nicht in direkte Gefahr zu geraten; denn auf der Suche nach einem guten Blickwinkel mit seinem Fernglas wagte er sich oft allzu weit vor..

Daß Werner Sambalat ein Freund der Natur war, bewies er nicht nur durch seine Vorliebe für die Jagd, zu der er oft den Bäcker Eberwein begleitete. Auch sein Grundstück in Oftersheim, auf dem er einen Bauwagen als Wochenendhaus aufgestellt und umgebaut hatte, pflegte er mit Liebe und Umsicht. Sein überaus genügsamer Lebensstil und seine Anspruchslosigkeit kamen ihm da sehr entgegen. Oft nahm er Freunde und Nachbarn mit dorthin und führte ihnen voll Stolz seinen Besitz vor.

Nachdem er sein Single-Dasein aufgegeben und eine Frau aus dem Schwabenland geheiratet hatte, verlegte er sein Geschäft aus der Luisenstraße in die Goethestraße. An der Ecke Goethe- / Beethovenstraße fand er in der ehemaligen Bäckerei Wagenbach (vormals Fahrradhandlung Kurt Gaa) geeignetere Räumlichkeiten. Damit man das neue Geschäft auch finden konnte, hatte er an der ehemaligen Bäckerei Gärtner (Ecke Waldpfad / Schwetzinger Straße; heute eine Grünanlage) ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Sambalat" anbringen lassen. Dieses Schild , das ähnlich gestaltet war wie ein Verkehrshinweisschild, veranlaßte eine neu zugezogene und mit der örtlichen Geschäftswelt noch nicht vertraute Ortsbürgerin zu der Frage, wo dieser Plankstädter Ortsteil "Sambalat" wohl liegen würde!!! 

Doch lange hielt es ihn nicht am neuen Platz: zum 30 April 1982, so geht aus den Akten hervor, meldete er sein Geschäft in der Goethestraße ab und ging zunächst nach Haag im Odenwald, wo er sich ein Häuschen gekauft hatte. Noch hielt er aber Verbindung zu seinen Plankstädter Kunden: beim Mitsche-Schorsch am Rathauskiosk konnte man Reparaturen abgeben und nach deren Bearbeitung wieder abholen. Einige Zeit später aber verließ Werner Sambalat mit seiner Frau Deutschland und wanderte nach Kanada (Kitchener, Ontario) aus. Von dort kam die Kunde, daß Werner Sambalat am 12. Mai 1982 an den Folgen eines erneuten Herzinfarktes verstorben war. Bei seinen Freunden, Bekannten und Kunden in Plankstadt aber ist der bescheidene und angenehme Mann bis heute unvergessen.
(Verfasser: Ulrich Kobelke)