Erinnerungen an das „Frühmeßpädl“ nach Schwetzingen

Frühmepädl

Dort wo heute die Paul–Bönner–Straße (noch) in die Schwetzinger Oststadt führt, schlängelte sich bis in die 50er Jahre das sogenannte Frühmeßpädl in die gleiche Richtung – nur war die Wegstrecke weitaus romantischer als heute.

Zwischen dem letzten Haus auf Plankstädter Seite, dem Haus Gerlach, und dem Bahnübergang leuchtete dem nächtlichen Passanten keine Leuchte – heute schon aus Sicherheitsgründen völlig undenkbar, damals von manchem Liebespaar durchaus angenehm empfunden! Im Sommer wogten rechts und links die Getreidefelder, noch früher konnte man sogar die hohen Stangen der Hopfenfelder bewundern, und obwohl es für die Benutzer des Pädls eigentlich zwischen Plankstadt und Schwetzingen keine Ausweichmöglichkeit gab, wenn man jemandem nicht begegnen wollte, gab es als letzte Rettung noch die Flucht über den Dolle-Loch-Weg, sofern dies aus irgendwelchen Gründen ratsam erschien.

Wie der Name Frühmeßpädl schon sagte, erfüllte der Weg zur Zeit seines Entstehens - also im letzten Jahrhundert - einen ganz bestimmten Zweck: als die Plankstadter Katholiken vor 1904 noch nicht über eine eigene Kirche verfügten, mußten sie, um den Gottesdienst zu besuchen, die Schwetzinger Stadtkirche St. Pankratius aufsuchen. Dazu benutzen sie schon früh eine Abkürzung, ebenso wie die vielen Arbeiter, die zu Fuß zum Schwetzinger Bahnhof mußten, wollten sie den Zug in die Mannheimer Industriebetriebe erreichen oder eben am Abend wieder heim nach Plankstadt. – Bei der Deutung der Wegbezeichnung gab es früher einmal einen – allerdings irrtümlichen – Erklärungsversuch in Verbindung mit dem Frühmeßgut und dem Frühmeßgarten. Diese lagen jedoch an anderer Stelle und die Erkläung mit dem Weg zur Kirche, die ja auch eindeutig und zutreffend ist, rückte in den Vordergrund. Ursprünglich endete der Feldweg etwa da, wo sich dann später der Bahnübergang befand, also in Höhe der Einmündung der heutigen Ringstraße. Dann mußte man auf Schwetzinger Gebiet über ein Ackergrundstück, dessen Besitzer sich natürlich über den Trampelpfad ärgerte. Die Gemeinde Plankstadt erkannte jedoch frühzeitig die Notwendigkeit dieser Verbindung und pachtete im Jahr 1888 einen entsprechenden Grundstücksteil für ca. 25 Mark jährlich. Später erwarb sie das ganze Grundstück und die Benutzung des Pfades war offiziell gestattet.

Für die zahlreichen Plankstädter Kinder, die eine der Schwetzinger Schulen besuchten, was das Pädl täglicher Schulweg bei Sonnenschein, Schnee, Wind und Wetter, denn damals war es nicht nur üblich, sondern eine Selbstverständlichkeit, daß man ohne elterliche Fahrdienste täglich seine Schule erreichte. Nicht nur, daß die meisten Eltern damals über gar kein Auto verfügten oder das Geld für die Straßenbahnkarte schlicht und einfach nicht hatten, wäre es selbst denjenigen, welche schon über ein Fahrzeug verfügten, nicht im Traum eingefallen, sich zum Chauffeur ihrer schulpflichtigen Kinder abstellen zu lassen. Außerdem bot ja auch der gemeinsame Schulweg mit den Schulkameraden gewisse Reize, ohne daß dabei an unlautere oder zerstörerische Tätigkeiten überhaupt nur gedacht wurde! Geschadet hat es uns jedenfalls nicht, jahrein, jahraus mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren!

Natürlich hatten die damaligen Benutzer des Weges ein völlig anderes Blickfeld als heute, war doch die Kurfürstenstraße nur im alten Westteil bebaut; auch der Blick hinüber in die Nachbargemeinde Oftersheim war durch keine Bauten verstellt. Nach rechts war der Blick auf die Eisenbahnersiedlung frei, die sich wie ein „Vorort“ hinter der freien Feldfläche des Brühlerwegs anschloß. Dort, wo heute die Unterführung von der Kurfürstenstraße in die Innenstadt führt, passierte man am längst verschwundenen Sandsteingebäude des Schwetzinger Amtsgefängnisses (Abbruch 1928) vorbei einen Gleisübergang (geschlossen nach dem Bau der Brücke 1910) auf dem Weg in die Stadt. Übrigens befand sich auch an der Stelle der Unterführung Heidelberger Straße ein schienengleicher Gleisübergang. 

Nachdem in den 50er und frühen 60er Jahren der Straßenverkehr immer mehr zugenommen und man für das Frühmeßpädl schon andere Pläne hatte, hielt man die Autos durch zwei dicke Eisenbahnschwellen, am Beginn des Weges auf Schwetzinger Seite eingerammt, dem Weg fern, damit er das blieb, was er war, nämlich ein Fußweg, allenfalls noch von Zweiradfahrern genutzt. Vom Bahnwärter Doll hatte das Pädl auch zeitweise den Namen Dolle-Weg; später überquerte man die Gleise der Bahnstrecke Heidelberg – Schwetzingen dann beim Bahnwärter Schwarz. 

Auch der „Zahne-Velde“, der Schwager von Heimatforscher und Gewerbeschulrat Ernst Brauch, bewohnte das Bahnwärterhaus am Übergang einige Zeit als Dienstwohnung. Auch der Begriff „Krummes Wegl“ ist dem Verfasser aus früheren Zeit erinnerlich.

Längst hat sich die Landschaft am und um das Frühmeßpädl verändert, die Paul–Bönner–Straße hat mit dem alten Weg nur die Richtung gemeinsam und der Spaziergänger fragt sich unwillkürlich, wie lange es noch dauern wird, bis die geplante B 535 auch die letzten Erinnerungen an die Trassenführung der Bahnstrecke durch Abholzung der Hecken auslöschen wird. Wer erinnert sich nicht, wie heiß die Höhlen in den Hecken an der Bahnlinie von den verschiedenen „Banden“ der Plänkschter Buben umkämpft waren! Bekannt geworden ist die „Achter-Höhle“, so benannt, da in ihrem Inneren der Kilometerstein 8 der Bahnstrecke Heidelberg – Schwetzingen stand. 

Unvergessen die beliebten Wild–West-Spiele im Dolle–Loch während der Sommertage, wo dann nachgespielt wurde, was man im Rosengarten-Kino am Sonntag in der Nachmittagsvorstellung gesehen hatte; die Feuer unten bei den drei Steinquadern, die nach irgendeinem Abbruch dort abgelegt wurden, und die rasanten Abfahrten mit dem Schlitten im Winter – die Draufgänger stürzten sich vom Weg den steilen Abhang mit ihrem Schlitten in die Tiefe, die Ängstlicheren rodelten auf der gegenüberliegenden Seite am Bahndamm oder auf dem Weg, der ins Loch hinab führte, weil es da flacher und ungefährlicher war! Vielleicht ist es ein Glück, daß die Kinder von heute das gar nicht mehr ermessen können, was ihnen entgeht, weil nichts mehr im Gebiet Sandgarten und Krummgewann an diese Freuden unserer Jugend erinnert. Vielleicht ist es aber auch so, daß die heutigen Kinder gar nichts mehr damit anfangen könnten, weil selbst das Dolle-Loch den Reizen der heutigen Unterhaltungsindustrie nichts entgegenzusetzen hätte! Bemerkenswert auch, daß heute wahrscheinlich nach den zu beachtenden Sicherheitsvorschriften alles eingezäunt und abgesichert wäre, während damals sich scheinbar niemand um derartige Dinge kümmern brauchte, denn es ist dem Verfasser nicht bekannt, daß jemals außer vielleicht von ein paar Hautabschürfungen und einiger blauer Flecken von nennenswerten Verletzungen berichtet wurde. 

Wie es wohl sein wird, wenn die Plänkschter nach dem Bau der Schwetzinger Umgehung nicht einmal mehr über die Paul–Bönner–Straße die Oststadt erreichen können? Was werden sich die Planer einfallen lassen? Wie heißt es in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ ? „Das Alte geht und neues Leben blüht aus den Ruinen ...“ – mit diesem Satz will uns Schiller daran erinnern, daß aus dem Vergangenen Neues entsteht, daß wir diesem Neuem stets aufgeschlossen gegenüberstehen sollen und daß der stete Wandel zum Lauf der Welt gehört.

Aber waren es wirklich nur Ruinen oder ging und geht nicht auch viel Schönes mit dem Wandel oft unwiderruflich verloren? Und um noch einmal darauf zurückzukommen, auch wenn es nur ein winziger Teilaspekt ist,: man frage doch einmal die vielen jungen und auch die älteren Pärchen jener Jahre, die – vielleicht nach einem Besuch eines der vier Schwetzinger Kinos - damals in trauter Umarmung dem heimatlichen Plankstadt zustrebten und für die das Frühmeßpädl für immer in der Erinnerung mit den schönen Zeiten der Jugend verbunden bleiben wird.