​ "Mea hewä Gail – mea machä's" Eröffnung der Straßenbahnlinie 11 Heidelberg – Schwetzingen am 9. April 1927

Eröffnung der Straßenbahnlinie 1927

Wahrscheinlich kennen die meisten Plänkschter – ältere sowieso – das Foto von der ersten Fahrt der Straßenbahn durch Plankstadt.

Auch die Geschichte mit dem Ausspruch "Was brauchä mea ä Schdrosebahn - mea hewwä Gail, mea machä's" haben die meisten schon mal irgendwie gehört, weitererzählt oder erzählt bekommen. Allerdings ist festzustellen, daß der eigentliche Grund, wie es zu diesem historischen Foto kam, langsam in Vergessenheit gerät. Fälschlicherweise wird häufig die Auffassung vertreten, es hätte sich damals um einen ernstgemeinten Bürgerprotest gegen diesen Fortschritt gehandelt. 

Einige wenige Schriftstücke im Ortsarchiv Plankstadt erhellen jedoch den immer weiter ins geschichtliche Dunkel sinkenden Hintergrund der Anekdote.

Der Plankstädter Bürger Jakob Gaa aus der Erzbergerstraße (so hieß die Leopoldstraße in der Zeit der Weimarer Republik; im Volksmund war sie schon immer der "Viehweg" - völlig unabhängig von den jeweiligen Machtstrukturen in Deutschland!) hatte die Idee zu der Pferde-Geschichte und machte bei der Eröffnungsfahrt das allseits bekannte Foto. Am 11.April 1927 bot er das Foto in den noch erhaltenen Schreiben dem Berliner Ullstein-Verlag, der Heidelberger Straßen- und Bergbahn AG sowie dem Heidelberger Oberbürgermeister Walz an, letzterem als Geschenk.

Auszüge aus seiner Erklärung: " ... Seitens der Plankstädter Landwirte herrschte kein Interesse für dieses Verkehrsmittel. In einer Bürgerausschußsitzung, in welcher der Beschluß zur Genehmigung der elektr. Straßenbahn gefaßt werden sollte, bemerkte ein Bauer, dem durch den Bau ein Stück Land abgekauft werden sollte: "Was brauchä mea ä Schdrosebahn, mea hewä Gail, mea kännä jo die Schtaatsbahn pensionierä, mea machä's schun." ... Um dieses Ereignis fortleben zu lassen, habe ich mich entschlossen, bei der ersten Fahrt durch Plankstadt zwei Pferde vor die Elektrische zu spannen, gesagt- getan. Anfangs stieß ich auf große Schwierigkeiten, denn keiner wollte seine Pferde hierfür hergeben. Als ich jedoch demjenigen, welcher mir für diese Zwecke seine Pferde überließ eine größere Geldsumme verabreichte, gelang mir mein Vorhaben. So entstand beifolge Aufnahme und erfreut sich großen Beifalls seitens des Publikums. Ich glaube, daß diesem Bilde sicherlich überall großes Interesse beigemessen wird. ..."

Auch der Straßenbahnverwaltung bot er die Bilder an. Er schreibt an Straßenbahndirektor Kuckuck u.a.:" ... So entstand beifolgende Aufnahme, die seitens des Publikums großem Interesse begegnet, war es doch der Pfälzer Humor, der auch bei diesem historischen Ereignis zum Durchbruch kam und lange noch fortdauern wird. Ich gestatte mir daher höflichst Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten. Wären Sie evtl. nicht bereit, allen Arbeitern, die an dem Bau der Straßenbahn in unermüdlicher Weise mitgeholfen, je 1 Karte als Andenken gratis zu verabfolgen, damit ich wenigstens meine entstandenen Unkosten bestreiten kann? ..."
Aus den Archivakten geht nicht hervor, ob sich die Idee für ihn noch zu einem erfolgreichen Geschäft entwickelt hat, in einem Punkt hat Jakob Gaa jedoch recht behalten: Wahrscheinlich hätte er selbst nicht geglaubt, wie lange sein Satz: "war es doch der Pfälzer Humor, der auch bei diesem historischen Ereignis zum Durchbruch kam und lange noch fortdauern wird" seine Richtigkeit behalten würde.

Der Journalist Adolf Himmele beschreibt am 11.4.1927 in der Neuen Badischen Landeszeitung das denkwürdige Ereignis der Eröffnung der Linie 11 von Heidelberg nach Schwetzingen:
"Am Samstag nachmittag fuhren unter dem Hallo der "Eppeler" und "Plänkster" die schönen blauen Vierachswagen, - bewimpelt und mit "Prominenten" wie der einmal notwendigen Presse beladen (es war ein stattliches Expeditionskorps), nach dem kurfürstlichen Jagdstädtchen Schwetzingen, wo eine mehr denn tausendköpfige Menschenmenge der Einfahrt dieses amtlichen, offiziellen, elektrischen Heidelberger Stoßtrupps neuzeitlichen Verkehrs beiwohnte und mit Hoch- und Hurrarufen (das gibt es wohl!) die fünf Wagen und ihre Gäste willkommen hieß.

Die Innenausstattung ist rotes Mahagoniholz, Plattformen Teakholz und die Decken gar aus lichtem, gelben Ahornholz. Was will man noch mehr! 5.15 Uhr mittags rollte der stattliche Wagenzug in Heidelberg ab, begleitet von Radfahrern, dem Tücherschwenken der Pfaffengrundler und einem leichten Nieselregen. Gelbrotgelbe Fahnen boten in Eppelheim den Willkomm. An der letzten Dorfkurve müssen wir halten. Die Bevölkerung ist außer sich. Kinder deuten kreischend auf ein Plakat, das über den Schienen aufgehängt ist. Lachend lesen wir die Plakataufschrift: "Halt! mer hewwä Gäul!" ... 

Über die um 5 Meter verbreiterte Landstraße stoßen wir Plankstadt zu. Neue Überraschung. Der weiße Handschuh des beleibten Dorfpolizisten stellte den Wagenzug. Bürgermeister Alheim und Oberbürgermeister Walz schütteln sich die Hände, ein altes Mütterchen reicht einen Blumenstrauß in den Wagen ... Die Hauptstraße wuselt, aus allen Fenstern hängen die Kolbs, Renkerts, Treibers; Gaas und Macks, die Anna, Sanche, der Valentin und die Bawett. Vor dem Rathaus weigert die Menge die Durchfahrt, der gute Pfälzer Humor kommt zum Durchbruch, die Überraschung ist da – Fuhrunternehmer Jakob Kolb spannt unter dem Beifall und Jubel der Plankstädter zwei feiste Rappen vor den großen elektrischen Triebwagen. "Plankscht" ist außer sich vor Freude, die Prominenten werden in diesem "historischen Augenblick" von einem Photomann verewigt.

Am Ostausgang Schwetzingens, an der Bahnkreuzung Straßenbahn – Reichsbahn (heute Kreuzung August-Neuhaus-Straße/Brückenauffahrt) bietet Bürgermeister Götz den Willkommensgruß. ... Auf die Tische des geschmückten Falkensaales wurden außer dem blauweißbebänderten Festgeschenk der 'Schwetzinger Zeitung', neben Ochsenschwanzsuppe, Spargelgemüse und Schweinerücken auch ein stimmungsfroher Tropfen gebracht, daß die Toaste kein Ende nehmen wollten. ... So feierte man vom Falkensaal bis zum Kaffee Hassler zu Schwetzingen das Ereignis dieses 9. April 1927, den Mannheimern um so eher Grund, das 'Mannem hinne!' mit einem gleichen elektrischen Vorstoß nach Schwetzingen baldigst aus der Welt zu schaffen.

Um Mitternacht stürmten die Plankstadter und Eppelheimer noch diese ersten Probewagen "Kumm rei', Karle, heit koscht's nix! ..."

Soweit der Bericht aus der Neuen Badischen Landeszeitung von 1927. Heute denkt man mit etwas Wehmut an die letzte Fahrt der Linie 11 am 5. Januar 1974 zurück. Dies umso mehr, als die Diskussion um eine Wiedereinführung der Straßenbahnlinien Heidelberg – Schwetzingen oder Mannheim – Brühl – Ketsch erneut in vollem Gange ist; allerdings ist bei der derzeitigen Finanzlage der öffentlichen Hand an eine Realisierung noch lange nicht zu denken. So unterschiedlich sind menschliches Denken und Bedürfnisse im Wandel der Zeiten.

(Verfasser: Ulrich Kobelke)