Von Ärzten, Zahnärzten, Hebammen und Schwestern - Erinnerungen an die frühere medizinische Versorgung Plankstadts

Ärzte-Collage

Wenn man sich die medizinische Versorgung der Bevölkerung Plankstadts in der Vergangenheit etwas näher betrachtet, so taucht dabei natürlich zwangsläufig immer der Name von Dr. Paul Bönner auf, dem ersten in Plankstadt ansässigen Arzt, der aber nicht nur wegen seiner medizinischen Kunst, sondern auch wegen seines sozialen Einsatzes für die Hilfsbedürftigen und seiner Sorge um die allgemeine Volksgesundheit bis auf den heutigen Tag in Plankstadt geachtet und verehrt wird.

Er war der erste Bürger, dem das Ehrenbürgerrecht verliehen wurde, nach ihm wurde eine Straße benannt, eine Ehrung, die nach ihm nur noch dem früheren Rektor und zweitem Ehrenbürger Josef Fleuchaus zuteil wurde. 

Den Nachfolgern von Dr. Paul Bönner war es nicht leicht gefallen, sich an diesem Manne - um nicht zu sagen, an dieser Lichtgestalt im weißen Kittel messen zu lassen; jedoch waren auch sie alle hochgeachtete, geehrte und beliebte Mitbürger. Es ist auch nicht ganz einfach, in heutiger Zeit den Beruf selbst und auch die berufliche Auffassung der Mediziner mit der Zeit vor 50 Jahren zu vergleichen – zu groß sind die Veränderungen, die Zwänge und Umstände, denen heutige Ärzte unterworfen sind. Deshalb kann es auch nicht Sinn einer solchen Reminiszenz sein, Wertungen vorzunehmen oder gar die frühere Zeit der heutigen als vorbildhaft gegenüberzustellen. Jede Zeit hat ihre besonderen Eigenheiten und eine vergleichende Analyse wäre der falsche Weg.

Dr. Ernst Klehr, Dr. Josef Goldhofer, Dr. Anna Rösch, Dr. Julius Deussen, Dr. Walter Buckesfeld, Dr. Helene Klehr und vielleicht noch – mit Einschränkung, wie wir später noch sehen werden - Dr. Ortwin Heyer – diese Namen würde ich in die Reihe der alten Hausärzte einreihen; spätestens dann aber begann auch unter den Plankstädter Ärzten eine neue Ära. 

Bei den Zahnärzten ist es ähnlich: hier beginnt die Zeit der Versorgung der Plankstädter mit dem Dentisten Heinrich Karl, dem "Kalle-Heiner" (Foto), wie er in der Bevölkerung genannt wurde, dem Schwetzinger Zahnarzt Dr. Weber, der sich bei August Wolpert in der Schwetzinger Straße eine Dependance eingerichtet hatte und endet nach unserer Definition nach Ernst Hallwachs, Dr. Robert Heydenreich und Günter Klotz bei Dr. Eugen Knopf, der am längsten von den genannten praktizierte. Nach diesen trat auch bei den Zahnärzten eine Wandlung im Arbeiten ein.

Ein Merkmal war all den bisher genannten Ärzten und Zahnärzten gemein: sie alle arbeiteten allein, noch ohne Sprechstundenhilfen oder anderweitigem medizinischen Hilfspersonal, geschweige denn einem Dental-Labor. Eine Tatsache, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann.

Nun war es ja in früheren Zeiten nicht so, daß sich ein Arzt nach eigenem Gutdünken in einer Gemeinde niederlassen und eine Praxis eröffnen konnte. Ob dies möglich war, richtete sich nach der Bevölkerungszahl, der Zustimmung der Gemeindeverwaltung und vor allem auch der kassenärztlichen Berufsorganisationen. Daß gerade letztere großen Einfluß zu nehmen versuchten – und dies durchaus nicht immer im Sinne und zugunsten der Bevölkerung, darüber geben Akten im Gemeindearchiv hinreichend Auskunft und einige der früheren Plankstädter Ärzte könnten dazu manchen und für sie selbst nicht immer heiteren Beitrag zusteuern.
Da ich selbst Dr. Bönner nicht mehr erlebt habe und auch den Karle-Heiner nur als Pensionär kannte, bin ich bei ihnen auf die Erzählungen der Älteren bzw. auf schriftliche Unterlagen in den Archivakten angewiesen. Es ist schon bemerkenswert, wie sich dieser Arzt, der 1897 nach Plankstadt kam,um dieVolksgesundheit Gedanken machte. Er gehörte zu den ersten Befürwortern eines Schwimmbades, nachdem er vorher das Schwimmen in der Keesgrieb schon als gesundheitsfördernd lobte; auf seine Initiative wurde im Schulhaus das öffentliche Wannenbad eingerichtet; für alle Sorgen seiner Patientien hatte er ein offenes Ohr und war meist mit Rat und besonders mit Tat zur Stelle. Die Honorierung seiner ärztlichen Leistungen interessierte ihn dabei an letzter Stelle. 

Unvergessen sein auch heute noch im Archiv vorhandener Brief an die Gemeinde anläßlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde. Anekdotenhaft berichtet er darin von der Versorgung einer Eppelheimer Frau während einer Totgeburt, als dem völlig überforderten und der Ohnmacht nahem Ehemann angesichts seiner stark blutenden Frau die Öllampe aus der Hand fiel und alles in Brand setzte. Auch diese Situation meisterte der Landarzt, erlitt allerdings später in der Nacht selbst eine Herzattacke. Berichtet wird auch von dem Notfall, als er auf dem Sportplatz einem verletzten Fußballspieler eine Hauptschlagader mit einem Faden abband und so die tödliche Blutung zum Stillstand brachte. Einen solchen Faden führte er für derartige Notfälle immer hinter dem Revers mit sich. Ein erstaunlicher Mann, dessen Bild noch bei vielen lebendig ist.

Von seinen beiden Schwiegersöhnen Dr. Ernst Klehr (gestorben 1971) und Dr. Josef Goldhofer (gestorben 1961) war jeder auf seine Art ein Original. Dr Klehr (Foto) trat sehr in die Fußstapfen seines Schwiegervaters, besonders im Umgang mit seinen Patienten. Er war es auch, der ab 1949 den Dienst der Plankstädter Ärzte an Sonn- und Feiertagen organisierte.

Wenn man den Geschichten über zahnärztliche Behandlungen beim Kalle-Heiner Glauben schenken darf, so schien man gut beraten zu sein, diese – wenn es sich irgendwie vermeiden ließ – zu umgehen! Dabei wurde natürlich häufig verkannt, daß eine zu lange hinausgezögerte Behandlung dann wahrscheinlich mit mehr Leid verbunden war als eine rechtzeitig vorgenommene. Jedenfalls scheint der Karle-Heiner "kein allzu Feiner" im Umgang mit seinen Patienten gewesen zu sein. Im Grunde war der frühere Dentist ja ein Nachfolgeberuf des mittelalterlichen Baders, der neben seiner Tätigkeit als "Bademeister" auch bei Zahnschmerzen aufgesucht wurde und dann eben mit den damals unvollkommenen und oft auch recht handfesten Methoden dem Übel mit mehr oder weniger Erfolg zu Leibe rückte. Immerhin war der Kalle-Heiner staatl. geprüfter Dentist und konnte auch Zahnprothesen anfertigen, also schon ein Zahnarzt in unserem Sinne. – Von Dr. Eu-gen Knopf, der auch ein hervorragender Pianist ist, wird berichtet, daß er den Zeitraum, bis eine Betäubungsspritze wirkte, gerne zum Klavierspiel nutzte. Wo bekommt man heute so etwas noch geboten?

Die Tatsache, daß noch zu Beginn der 50er Jahre die meisten Zahnärzte in Plankstadt ihre Praxen gemietet hatten, zeugt auch davon, daß man damals noch weit entfernt von heutigen Einkommen. So war die Praxis vom Karle-Heiner beim Schreiner Gaa in der Friedrichstraße, Ernst Hallwachs, der zunächst seine Praxis bei Karl Wiest in der Moltkestraße eröffnet hatte, hatte eine Wohnung beim Adam Schardt an der Ecke Bruchhäuser Weg / Karl-Theodor-Straße gemietet, Dr. Eugen Knopf praktizierte, bevor er das Haus in der Schubertstraße baute, in der Luisenstraße 10 und Dr. Robert Heydenreich hatte eine Wohnung in der Friedrichstraße im Hause Mitsch gemietet. 

Aber auch die Allgemeinmediziner oder die "praktischen Ärzte", wie sie früher hießen, begannen nicht gleich im eigenen Haus. Dr. Klehr und Dr. Goldhofer praktizierten im Hause von Dr. Bönner; der übrigens seine Arbeit im Helmlings-Haus, dem früheren Jesuitengut, begonnen hatte; Dr. Buckesfeld in der Jahnstraße, Dr. Deussen hatte zunächst im Gasthaus "Zum Erbprinzen" in einem durch eine Bretterwand abgeteilten Gaststubenteil ordiniert und dann in der Friedrichstraße 41 ein Haus gemietet und Frau Dr. Rösch (Foto) hatte ihre erste Praxis im Dachgeschoß der Schreinerei Ochs bzw. Fath in der Luisenstraße 9, ihrem Elternhaus.
Eine etwas verworrene Situation ergab sich in Plankstadt nach dem deutschen Zusammenbruch 1945: Dr. Goldhofer befand sich noch in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und Dr. Klehr sollte allein die Bevölkerung versorgen. Frau Dr. Rösch bemühte sich um die Zulassung als Kassenärztin, auf Grund der Gesetzeslage erhielt zunächst jedoch Dr. Buckesfeld (Foto) als Spätheimkehrer aus russischer Gefangenschaft den Vorzug; Wohnraum und Praxisraum war knapp; Dr. Deussen ordinierte in einem 5m2 großen Bretterverschlag im Erbprinzen, als Wartezimmer diente die Wirtschaft. Dr. Deussen erfreute sich in Plankstadt großer Beliebtheit, als Regierungsmedizinalrat ging der zweifach promovierte und zudem habilitierte Arzt 1955 nach Donauwörth. Im Jahre 1962 kam Dr. Helene Klehr (Foto), die damals noch den Namen Laudage trug, nach Plankstadt.

Mein erster Hausarzt, mit dem ich in Kontakt kam, war Dr. Josef Goldhofer, ein Bayer von echtem Schrot und Korn, der wie sein Kollege, Dr. Ernst Klehr, eine der Töchter von Dr. Paul Bönner geheiratet hatte und so nach Plankstadt gekommen war. Eine der beliebtesten Verordnungen Dr. Goldhofers war – handelte es sich um Erkrankungen der Atemwege oder grippale Infekte – das Schwitzen. Daran kann ich mich noch bestens erinnern; besonders, da ich von solchen Krankheiten jeden Winter geplagt war. "Heiße Wickel und kräftig schwitzen" – so sein meistverordnetes Hausmittel bei mir – und tatsächlich, es half jedesmal! Berichtet wurde mir auch von einem Erstickungsanfall im Säuglingsalter, bei dem mich Dr. Goldhofer an den Füßen aus dem offenen Fenster hielt – wohlgemerkt im Winter! Die Tatsache, daß ich darüber heute, 50 Jahre später, noch darüber schreiben kann, zeigt den Erfolg der ärztlichen Maßnahme! Hausmittel waren zur damaligen Zeit noch durchaus übliche Verordnungen der Ärzte und erst in heutiger Zeit besinnt man sich wieder auf die altbewährten Mittel und nennt dies dann Alternativmedizin. 

Interessant auch, wie sich die Praxen der beiden Ärzte Dr. Goldhofer und Dr. Klehr glichen. Holzgetäfelte Wartezimmer mit Bänken und weiß gekachelte Ordinationsräume, in denen es geheimnisvoll medizinisch roch, während es in den Wartezimmern immer "nach Menschen" oder den verschiedensten Einreibemitteln "duftete". Aber auch in den später neu gebauten Praxen wie bei Frau Dr. Rösch in der Schillerstraße oder bei Dr. Heyer gehörte die Wartebank einfach zum Wartezimmer dazu.

Da es Frauen schon immer mehr zu weiblichen Ärzten hinzog, waren viele der Plankstädter Frauen bei Frau Dr. Anna Rösch oder später bei Frau Dr. Helene Klehr in Behandlung. Es darf als sicher angenommen werden, daß die Ärztinnen auch von den Frauen in vielen familären und seelischen Problemen konsultiert wurden.
Für Entbindungen war nur in Ausnahmefällen oder wenn Komplikationen drohten der Arzt oder das Entbindungsheim in der Schwetzinger Kurfürstenstraße (der früheren Villa Herzig, heute das Pfarrhaus der Melanchthongemeinde), wo der Frauenarzt Dr. Heribert Schnare tätig war, zuständig. Ansonsten halfen den Frauen bei der Geburt die beiden Plankstädter Hebammen Mina Gaa und Marie Gaa. Ein Beweis für die frühere Bedeutung der Hebammen zeigt die Tatsache, daß noch in den 30er Jahren drei Hebammen in Plankstadt amtlich zugelassen waren. Es waren dies Elisabeth Niemand, Barbara Röhm und Maria Klein. Ein Beruf zum Reichwerden war das auch nicht; so gab es z.B. im Jahr 1931 für eine Geburt 33 DM und für eine Mehrlingsgeburt 40 DM als Honorar für die Hebammen.

Wie der Zahnarzt, so war auch der Beruf des praktischen Arztes früher kein Beruf, bei dem man es schnell zu großem Wohlstand brachte. Gesetzliche Krankenkassen gab es früher nicht; der Arzt mußte seine Leistungen selbst mit dem Patienten abrechnen und Bargeld war früher knapp. So war es noch unter Dr. Bönner üblich, den Arzt in Naturalien wie Eiern, Fleisch, Kartoffeln o.ä. zu entlohnen. Stellte er doch einmal Rechnungen, so ging damit einmal pro Jahr ein Mann durchs Dorf, der versuchte, für den Doktor das Geld bei den Leuten zu kassieren, was jedoch nicht immer möglich war. 

Dieser Kassierer ist auch kein Unbekannter, er trug bei den Plänkschtern den Spitznamen "der Grasarsch", was jedoch nichts mit seiner Tätigkeit als Geldeintreiber für den Doktor zu tun hatte.

Erst Dr. Ernst Klehr betrieb dann – auch um seinem Schwiegervater und sich selbst den drohenden Bankrott zu ersparen – die Abrechnung über die Krankenkasse. Es muß hierbei auch daran erinnert werden, daß Dr. Bönner in Plankstadt erstmals einen Vorläufer einer Krankenkasse gegründet hatte.

Für eine der beiden noch lebenden Ärztinnen aus dem hier beschriebenen Kreis der Plankstädter Hausärzte, Frau Dr. Anna Rösch, ist es nach ihren eigenen Worten auch heute noch unvorstellbar, daß zwischen dem Arzt und dem Patienten, der den Arzt in seiner Not aufsucht, eine Sprechstundenhilfe steht. Dies widerspricht ihren persönlichen ethischen Ansprüchen an den Arztberuf. Dieser sicher wünschenswerten unmittelbaren Begegnung haben wachsende Bürokratie und Organisationsentwicklung wohl für alle Zeiten einen Riegel vorgeschoben. Man mag dies bedauern, zu ändern wird es wohl kaum mehr sein.

Wie anfangs schon erwähnt, leitete die Arbeitsweise von Dr. Ortwin K. Heyer, der nach dem Tod von Dr. Goldhofer 1961 nach Plankstadt kam, eine Veränderung ein. Dr. Heyer hatte nämlich auf seinem Schreibtisch ein Kästchen mit unzähligen kleinen Stempelchen für Überweisungen zu den entsprechenden Fachärzten. Wohlgemerkt, auch vorher gab es Überweisungen vom Hausarzt zum Facharzt, aber diese waren meist wegen der dortigen Praxisausstattung oder besonderen Behandlungsmöglichkeit erfolgt, nun aber ging es überwiegend um die Diagnostik. Das war neu, denn der Allgemeinmediziner war bislang für fast alle Diagnosen selbst zuständig.

Wie die Bezeichnung Hausarzt schon beinhaltet, war der Arzt früher auch ein Arzt fürs Haus, d.h. er kam bei Bedarf auch nach Hause. Und früher kamen die Ärzte immer, wenn sie gerufen wurden, zu jeder Tages- und Nachtzeit und in den meisten Fällen auch ohne Sondertarife. Da die wenigsten Privathaushalte über ein eigenes Telefon verfügten, mußte ein Familienmitglied zwangsläufig zum Arzt hinlaufen oder mit dem Rad hinfahren, um den Besuch anzufordern. 

Auch hier ist mir eine Besonderheit in der Praxis von Dr. Heyer erinnerlich: dort befand sich an der Wand des Wartezimmers eine geprägte Tafel mit der Inschrift: "Bei Inanspruchnahme während der Nacht aus geringfügigem Anlaß kein Anspruch auf weitere Behandlung.!" Offensichtlich wollte er damit seine Patientien dazu erziehen, ihn nur in wirklichen Notfällen während der Nacht zu rufen.

Eigentlich war diese Abweichung von den üblichen Gepflogenheiten damals eine Ungeheuerlichkeit; verglichen jedoch mit der Regelung des ärztlichen Notdienstes in der Gegenwart nur eine lächerliche Lapalie! Dr. Klehr wiederum bewies hier auch seinen Humor, indem er eines Tages, als er selbst krank war, an die Schiefertafel im Flur, auf der man einen gewünschten Hausbesuch anmelden mußte, vermerkt hatte: "Zoo geschlossen – Affe krank!". Auch bei Dr. Goldhofer hing eine solche Schiefertafel im Flur. Was da heute wohl der Datenschutz sagen würde, wenn jeder lesen kann, wohin der Arzt kommen soll!

Wenn man die ärztliche Versorgung einer Landgemeinde wie Plankstadt in geschichtlicher Hinsicht betrachtet, darf man die große Bedeutung einer Gruppe von pflegenden Kräften nicht vergessen – die Krankenschwestern der beiden Kirchen oder die manchen Gemeinden auch tätigen Rot-Kreuz-Schwestern.
Besonders die Schwestern der beiden großen Kirchen, in der evangelischen Kirche die Diakonissen und in der katholischen Kirche die Ordensschwestern leisteten Großartiges in der Krankenpflege, besonders bei der Pflege der Langzeitkranken und in der Betreuung und Begleitung der Sterbenden. 

Unbezahlbar war die tägliche Unterstützung der Angehörigen bei der Versorgung und Pflege der bettlägrigen Langzeitkranken. Unbezahlbar auch die seelische Unterstützung der Sterbenden wie auch ihrer Angehörigen in den Tagen und Stunden vor dem Tod. 

In früherer Zeit starben noch mehr Menschen zu Hause, als dies heute der Fall ist und ich selbst kann mich noch gut erinnern, als meine Großmutter im Sterben lag und eine der Ordensschwestern in ihren letzten Tagen fast rund um die Uhr neben ihrem Bett saß und sie bei ihrem Todeskampf nicht nur durch schmerzlindernde Maßnahmen unterstützte, sondern sie auch im Gebet begleitete. 

Welche Hilfe und Entlastung für die Angehörigen, wenn sie selbst mal für eine Stunde zur Ruhe kommen konnten; denn man konnte sich darauf verlassen, daß die Schwester sich meldete, wenn es nötig wurde. Und welcher Trost für den Sterbenden selbst, wenn er in seiner letzten Stunde sich von einer erfahrenen Kraft begleitet und im Gebet vereint wußte.

Auch diese Zeit gehört wohl endgültig der Vergangenheit an; denn sowohl die evangelischen Diakonissen als auch die katholischen Orden der in der Krankenpflege tätigen Schwestern sind von einem derartigen Nachwuchsmangel betroffen, daß für die Versorgung der Kranken in den einzelnen Gemeinden keine Schwestern mehr zur Verfügung stehen.

Trotz aller Fortschritte in der Diagnostik und der Medizin glaube ich, daß bei den alten Ärzten noch viel Erfahrung von Menschen und ihren Befindlichkeiten vorhanden war, das heute längst bei der Ausbildung mehr in den Hintergrund getreten ist und erst mühsam wieder erworben oder aktiviert werden muß. Allzu lange hat man in der Medizin allein auf die Technik vertraut. Daß die Wissenschaft der Heilkunst aber viel mehr ist als Technik, das beginnt man erst wieder zu ahnen und auszubauen. Daß die Ärzte früher besser um die Lebensumstände ihrer Patienten wußten, hat natürlich auch etwas mit der Überschaubarkeit des Lebensbereiches damals zu tun. 

Um voreiliger Kritik vorzubeugen: mit dieser Reminiszenz soll keineswegs in irgendeiner Form an der fachlichen oder menschlichen Qualifikation der heute hier ansässigen Ärzte herumkritisiert werden. Jeder ältere Leser wird beim gedanklichen Zurückversetzen in die damalige Zeit erkennen, daß auch die oft so beschriebene gute alte Zeit auch ihre Nachteile hatte. Ich glaube auch nicht, daß sich die gesundheitliche Versorgung früher und heute so einfach vergleichen läßt, denn die Umstände in allen Bereichen – von der Ausbildung über Praxisausstattung bis hin zur fachlichen Spezialisierung - haben sich so gewaltig verändert, daß ein Vergleich, der ein Werturteil abgeben wollte, sich als unsinnig herausstellen würde. 

(Verfasser: Ulrich Kobelke)