125 Jahre Standesamt in Deutschland

Familienbücher

Wer heute zu heiraten beabsichtigt, für den ist der Gang zum Standesamt in einer der Wohngemeinden der beiden Ehewilligen eine selbstverständliche Sache. Doch dies war aber nicht immer so, denn gemessen an der Zeit, die es die Ehe gibt, ist das Standesamt mit seinen 125 Jahren eine recht junge Einrichtung.

Am 6. Februar 1876 nämlich trat das „Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ in Kraft. Die Eheschließung vor einem staatlichen Beamten und die Einführung des Standesamtes ist eines der Ergebnisse des sogenannten Kulturkampfes, den Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1878 als eine Art „kalten Krieg“ mit dem Vatikan und der deutschen katholischen Kirche führte. Den Namen ‚Kulturkampf’ prägte der Liberale Rudolf Virchow bei einer Rede 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus. Die Auseinandersetzung zwischen Reich und katholischer Kirche steht in größerem Zusammenhang der Auseinandersetzungen zwischen modernem Staat und traditionsbestimmter Kirche im 19. Jahrhundert. Konkreter Hintergrund war die Reaktion des Papsttums auf die liberale Bewegung des 19. Jahrhunderts und die mit ihr gewachsene Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens vor allem seit der Revolution von 1848. Die bürgerliche Gesellschaft emanzipierte sich zunehmend von kirchlichen Einflüssen und der Vatikan antwortete darauf mit einem gesteigerten Anspruch kirchlicher Autorität. Beispiel hierfür ist die Enzyklika Quanta cura von 1864 mit dem beigefügten Syllabus errorum, der alle Irrlehren auflistet und eine Unterordnung der wissenschaftlichen Forschung unter die Autorität der Kirche fordert. Als dann das I. Vatikanische Konzil 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrentscheidungen dogmatisch fixiert, entstehen besonders da Konfliktsituationen, wo sich katholische Kirche und moderner Staat in ihren Wirkungsfeldern berühren, beispielsweise bei der Schulaufsicht. Reichskanzler Bismarck fürchtete den Einfluß einer rivalisierenden Fremdmacht, der immerhin ein Drittel der Einwohner des Reiches angehörte. Diese heftige Auseinandersetzung, die streckenweise die Züge religiöser Verfolgung oder einer antireligiösen Kampagne annahm, endete auf Bismarck’sche Art mit Kompromissen, schon deshalb, weil der Kanzler, der den Einfluss der Nationalliberalen beschränken wollte, im Reichstag die Unterstützung des mit den Konservativen verbündeten Zentrums brauchte. Jedoch benötigten die deutschen Katholiken nahezu ein Dreivierteljahrhundert, um sich von diesem Trauma zu erholen, obwohl ihnen Bismarck am Ende notgedrungen sehr weit entgegengekommen war. Die Kulturkampf-Maßnahmen richteten sich zuerst gegen die Schulaufsichtsfunktionen katholischer Geistlicher, dann gegen Bischöfe, die bei der Durchsetzung auch innerkirchlich umstrittener Beschlüsse des I. Vatikanischen Konzils Priester disziplinierten. Es folgte im ganzen Reich durch den „Kanzelparagraphen“ ein Verbot für Geistliche, Staatsangelegenheiten on „den öffentlichen Frieden gefährdender Weise“ zu besprechen und 1872 das Verbot des Jesuitenordens im gesamten Reich. Bis 1876 waren alle preußischen Bischöfe entweder verhaftet oder ins Ausland geflohen. Eine letzte Verschärfung erfolgte mit dem Brotkorbgesetz (Einstellung sämtlicher Leistung von Staatsmitteln an die Kirche), dem Verbot fast aller Orden, mit der staatlichen Vermögensverwaltung katholischer Kirchengemeinden und der Verschärfung des Kanzelparagraphen, als Papst Pius IX. (1846 – 1878) in der Enzyklika „Quod numquam“ die Kulturkampf-Gesetze verurteilt und zum Teil für nichtig erklärt hatte. Zwischen Bismarck und dem Vatikan kam es 1878/79 zu Verhandlungen, die drei Milderungsgesetze und schließlich 1886 und 1887 die beiden Friedensgesetze zur Folge hatten. Im Mai 1887 konnte schließlich Papst Leo XIII. (1878 – 1903) den Kulturkampf als beendet erklären. Durch das Schulaufsichtsgesetz wurde auch der Widerstand der Protestanten hervorgerufen. Allerdings wurde durch manche der Bestimmungen auch zur Entflechtung zwischen Staat und evangelischer Kirche beigetragen, indem Energien zur Ausbildung einer eigenständigen Synodalverfassung der evangelischen Kirche Preußens freigesetzt wurden. Die Vorläufer der behördlichen Personenstandsbuchführung waren die Kirchenbücher. Vereinzelt gab es schon im 3. Jahrhundert Notizen über Personen, die getauft waren. Aus diesen entwickelten sich im Laufe der Zeit Taufbücher, deren Führung durch das Konzil von Trient (1545 – 1563) allgemein angeordnet wurde. Im Jahre 1614 kam eine Anordnung über die Anlegung von Totenlisten hinzu. Auch die protestantische Kirche führte im 16. Jahrhundert in fast allen Gemeinden Tauf-, Trau- und Sterberegister ein. Schon bald merkte der Staat, dass sich die Kirchenbücher u.a. auch gut für eine Zählung der Bevölkerung eigneten und deshalb für ihn von großem Nutzen sein könnten. So hat dann Preußen im „Allgemeinen Landrecht“ von 1794 den Kirchen vorgeschrieben, dass und wie sie Kirchenbücher über Aufgebote, Trauungen, Geburten, Taufen und Beerdigungen zu führen haben. Die Ideen der Französischen Revolution von 1789 führten bald im Personenstandswesen zur Trennung von Kirche und Staat. Im linksrheinischen Rheinland war diese Trennung durch ein Gesetz vom 20. September 1792 auf dem Gebiet der Personenstandsregisterführung bereits vollzogen. Am 11. März 1803 wurde dies im französischen Code Civil, der später auch zu den Grundlagen unseres Bürgerlichen Gesetzbuches gehörte, bekräftigt und eingehend reglementiert. Danach hatten die Gemeindevorsteher als Zivilstandsbeamte die staatlichen Register über Geburten, Heiraten und Sterbefälle zu führen. Als das Rheinland nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß preußisch wurde, behielt man diese Regelung bei. Am 1. Oktober 1874 wurde im Königreich Preußen das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung in Kraft gesetzt. Was zunächst für Preußen galt, erhielt mit der nachträglichen Zustimmung des Bundesrates mit dem „Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 1. Januar 1876“ im ganzen Gebiet des Deutschen Reiches Gültigkeit. Damit oblag die Beurkundung von Geburten, Heiraten und Sterbefällen ab 1876 ausschließlich den vom Staat bestellten Standesbeamten und ab diesem Zeitpunkt war die Personenstandsbuchführung im ganzen Reich einheitlich eine staatlichen Angelegenheit geworden. Allerdings gab es in Baden bereits ab 1870 Personenstandsbücher ohne dass es bereits Standesämter gab, denn das Großherzogtum Baden war 1869 dem Norddeutschen Bund beigetreten und dort galten preußische Gesetze. Von 1798 bis zum 30. Juni 1938 wurden bei den Gemeinden Geburtsregister, Heiratsregister und Sterberegister geführt. Diese drei Register waren die sogenannten „klassischen Personenstandsbücher“. Vom 1. Juli 1938 bis 31. Dezember 1957 war, an Stelle des Heiratsregisters, ein aus zwei Teilen bestehendes Familienbuch getreten. Durch dieses Familienbuch wurde eine Verbindung zwischen zuvor völlig eigenständigen Personenstandsbüchern hergestellt. Durch die Wiederaufnahme der Religionszugehörigkeit hatte die NS-Regierung nun die Möglichkeit, die Angehörigen der jüdischen Religion aufzuspüren. Das Personenstandsgesetz von 1937 führte auch das durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges später zu einer traurigen Berühmtheit gelangte „Buch für Todeserklärungen“ ein. Zusammen mit den Eintragungen der DDR verzeichnet dieses Buch von 1938 bis 1999 über 1,3 Millionen Todeserklärungen. Das Geburtsregister und das Sterberegister wurden ab 1. Januar 1958 in die noch heute gültigen Bezeichnungen Geburtenbuch und Sterbebuch umbenannt. Hinzu kam, vom gleichen Zeitpunkt an, das Heiratsbuch zur Beurkundung der Eheschließung und das im Anschluss an die Eheschließung anzulegende Familienbuch; letzteres ist nicht zu verwechseln mit dem Stammbuch der Familie, welches den Frischvermählten vom Standesbeamten ausgehändigt wird. Nur erwähnt seien hier die weiteren Änderungen und Ergänzungen in den letzten Jahrzehnten wie z.B. die Vorschriften über die Namensführung der Ehegatten, Verfahren bei totgeborenen oder während der Geburt verstorbener Kinder, Änderungen der Geschlechtszugehörigkeit nach dem Transsexuellengesetz von 1980, die Überleitung des Personenstandsgesetzes in der ehemaligen DDR; das Kindschaftsreformgesetz von 1997, Neuordnung des Eheschließungsrechts von 1998 sowie die zahlreichen Vorschriften zum Datenschutz und zur Datenverarbeitung. Die Geschichte des Personenstandsgesetzes zeigt, dass das Personenstandsrecht ständig weiterentwickelt, angepasst und geändert wurde. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Das Standesamt in Plankstadt

In Plankstadt wurden die Standesvorfälle zunächst von den Ratschreibern beurkundet; seit 1875 ist der Bürgermeister zugleich Standesbeamter. Er beurkundete die Personenstandsbücher durch seine Unterschrift; der Ratschreiber, der zu diesem Zeitpunkt auch der offizielle Vertreter des Bürgermeisters war, konnte ihn bei der Beurkundung vertreten. So lesen wir noch im 19. Jahrhundert die Unterschrift des Ratschreibers Valentin Hunger und ab 1907 die von Jakob Neidig. Mit der Loslösung des Grundbuchamtes von der allgemeinen Verwaltung 1911 wurden Grundbuch- und Standesamt in Personalunion geführt. Stellvertretende Standesbeamte waren Jakob Neidig, Friedrich Kolb, Gustav Berger, Rudolf May und seit März 1989 führt Ralf Thome das Standesamt. Als zusätzliche Aufgabe ist dem Standesamt die Verwaltung des Friedhofswesens übertragen. Seit dem 1.1.1975 gibt es nur noch Standesbeamte und keine Stellvertreter mehr. Der Bürgermeister ist seither nur noch dann Standesbeamter, wenn er dies ausdrücklich möchte. Weibliche Wesen dürfen seit 1920 Standesbeamte sein; dies hängt mit der Einführung des Frauenwahlrechts zusammen, das 1919 in der Weimarer Verfassung verankert wurde. Vieles hat sich verändert im Laufe der vergangenen 125 Jahre und die moderne Bürotechnik mit vernetzten Computern hat längst in den Amtsstuben Einzug gehalten – so auch in Plankstadt. Der alte Ratschreiber Jakob Neidig, der zahllose Paare im Laufe seiner langen Amtszeit (für das Standesamt von 1907 bis 1947) getraut hat und dessen Unterschrift unter den vielen Urkunden der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu finden ist, pflegte nach den Trauungen immer die bange Frage zu stellen „Werd’s heewe?“ (= Wird es halten?“); er würde sich heute nur schwerlich noch zurechtfinden. Denn trotz moderner Technik und Rationalisierung hat die Aktenflut nicht abgenommen – eher ist das Gegenteil der Fall. Und nicht nur Jakob Neidig, auch Fritz Kolb, in Plankstadt besser bekannt als der „Liga-Fritz“ und seine Nachfolger Gustav Berger und Rudolf May waren noch wahre Meister bei den handschriftlichen Eintragungen und Beurkundungen. Bei Nachforschungen werden erst die künftigen Generationen beurteilen können, welche Art der „Buchführung“ die übersichtlichere und nachvollziehbarere war. Interessant ist in heutiger Zeit auch die noch bestehende Regelung hinsichtlich der Verwendung der Schrift; es gilt nach wie vor die Vorschrift, dass handschriftliche Eintragungen in die Personenstandsbücher in deutscher oder lateinischer Schrift vorzunehmen sind. Heute werden die Personenstandsbücher längst am Computer geschrieben und lediglich spätere Zusätze (Ehescheidung, Tod und dergl. mehr) werden als handschriftliche Randbemerkungen eingetragen. Diese maschinell gefertigten Beurkundungen werden dann, wenn genügend zusammengekommen sind, alle paar Jahre zum Buch gebunden und wandern ins Archiv des Standesamts. Eines der Personenstandsbücher ist im Laufe der Jahrzehnte immer dünner geworden und ein Band umfasst heute viele Jahrgänge: das Geburtenbuch, denn Hausgeburten in Plankstadt sind zu einer wahren Rarität geworden. Durch die Tatsache, dass die meisten Kinder heute auf den Entbindungsstationen der umliegenden Kliniken geboren werden, ist künftig auch der „echte gebürtige Plänkschter“ eine Rarität!

(Verfasser: Ulrich Kobelke)

(created on 25. September 2018)