Ein Freund der Kinder - Erinnerungen an den Zeitungsverleger und Druckereibesitzer Ernst Helfrich

Ernst Helrich

Wer von den heutigen Erwachsenen als Kind die Friedrichschule in Plankstadt besuchte, erinnert sich auch an Ernst Helfrich, den Besitzer des kleinen Schreibwarenladens an der Ecke Luisen- / Friedrichstraße.

Was man für die Schule brauchte, gab es bei ihm, aber es gab noch viel mehr: Süßigkeiten aus dem großen Holzkasten mit dem Glasdeckel oder aus den Gutsel-Gläsern; nicht in den heute üblichen Mengen, sondern alles gab es auch einzeln für ein paar Pfennige; wer würde sich nicht an die „Fünfer- oder Zehner-Rippen Schokolade erinnern! Nappo, Brausestäbchen, Himbeergutsel, Lakritzrollen – alles auch einzeln, wenn man nicht genügend Geld hatte (und damals hatten alle weniger Geld, nicht nur die Kinder), Brausewaffeln, Mohrenköpfe und Wundertüten – ein Schlaraffenland damals für die Kinder! Wenn er besonders gut aufgelegt war, bekam man auch schon mal was „für umme“ – und meistens war er gut aufgelegt! Immer hatte er einen Scherz parat und seine Sprüche waren bekannt. Zu Sylvester konnten die Älteren ihren Bedarf an Krachern und zu Fastnacht die zahlreichen Cowboys und Indianer ihren Vorrat an Knallblättchen (auch die gab es nicht nur in Rollen sondern anfänglich auch einzeln) auffüllen. Nicht zu vergessen natürlich die bunten „Gligga“, mit denen man nach Mißerfolgen beim „Gliggales-Spiel“ sein „Gligga-Seckl“ wieder für wenig Geld auffüllen konnte. Mit Fug und Recht kann man „den Helfrich“, wie ihn die Kinder durchaus auch liebevoll nannten (manche sagten auch fälschlicherweise „Helferisch, was wohl im Dialekt begründet war), als Freund der Kinder bezeichnen und bei vielen ist er bis heute unvergessen geblieben. Natürlich gab es auch noch das kleine Schreibwarengeschäft der Frau Wacker gegenüber der Schule und obwohl doch noch günstiger gelegen, war es nicht so stark von den Schülern frequentiert wie „der Helfrich“. Wenn eine Eigenschaft für ihn charakteristisch war, dann war es seine sprichwörtliche Geduld mit seinen kleinen und ungeduldigen Kunden. Der Laden konnte „bis hinnewedda“ voll sein, er behielt seine Freundlichkeit und ließ sich auch durch großes Schülergeschrei und so manche - auch nach heutigen Kriterien - freche Respektlosigkeit einiger „Gassenbankert“ niemals aus der Ruhe bringen. Die Kinder von heute würden wohl sagen, „ein durch und durch cooler Typ!“

Es lohnt sich, einmal die Erinnerung an diese Zeit zu beleben und in Gedanken auch ein wenig die Zeiten zu vergleichen. Heute hätte ein solcher kleiner Schreibwarenladen bei all den Supermärkten, Kaufhäusern und den vielfältigen anderen diversen Einkaufsmöglichkeiten zu Dumpingpreisen nicht die geringste Überlebenschance mehr. Alles wird heute „ im Doppelpack“ zu sensationell günstigen Preisen angeboten und wer käme heute noch auf die Idee, beispielsweise ein einzelnes Löschblatt, einen Briefumschlag oder einen einzigen Kanzleibogen (vielleicht für den einzigen amtlichen Brief, den man damals im Jahr an eine Behörde zu richten hatte) zu kaufen? - Wir Kinder betraten gerne den Laden von Ernst Helfrich, in dem es geheimnisvoll nach Druckerschwärze roch und der in seinen altmodischen Regalen und Schränken die Schätze barg, die man als Schüler für den - zumindest vom Material her - erfolgreichen Schulbesuch so dringend brauchte. Durch die offenstehende Tür zum Nebenraum konnte man die schwarzen geheimnisvollen Maschinen sehen, welche die Neugier und die Phantasie anregten, denn wer von uns Kindern wußte damals schon, wie Druckmaschinen funktionieren! Auch der alte Setzkasten mit seinen vielen Abteilungen und Fächern wurde vom Laden aus neugierig betrachtet. Gerne wäre man mal dabeigewesen, wenn die Maschinen klapperten, was man manchmal nur von der Straße aus hören konnte. Aber den meisten der kleinen Kunden war gar nicht bekannt, daß sie sich eigentlich in einer Druckerei befanden.

Denn als Buchdruckerei und Verkaufsstelle für Schreibwaren, Zeitschriften, Feuerwerkskörper u.a. hatte Ernst Helfrich das Geschäft angemeldet und als Druckereibesitzer hatte er ein gehöriges Stück Plankstädter Ortsgeschichte mitgeschrieben. Er war der letzte Herausgeber der „Plankstadter Zeitung“, die sein Vater Johann Helfrich im Jahre 1914 gegründet und die er 1927 übernommen hatte. Die Zeitung war die Nachfolgerin der alten Ortsschelle, deren „Betrieb“ am 31. Mai 1916 offiziell eingestellt worden war. Das Blatt von Johann Helfrich hatte also in der Gemeinde die Funktion der Ortsschelle übernommen und damit hatte es auch einen offiziellen Charakter.

Die Plankstadter Zeitung ersetzt die Ortsschelle

Die Ortsschelle, welche die Gemeinde noch 1886 neu angeschafft hatte, hatte durch aus über die reine Information der Bürger eine amtliche Funktion. Die Gemeindesatzungen sind Ortsgesetze, die nur in Kraft treten, wenn sie ordnungsgemäß bekanntgemacht wurden. Jeder Bürger muß die Möglichkeit haben, sich über den Inhalt zu informieren und eventuelle Einwendungen vorzubringen. Zu den Bürgerversammlungen waren die Männer zunächst durch einen Boten, dann durch Glockenzeichen und schließlich durch das Ausschellen gerufen worden. Die Ortsschelle, die zwar offiziell 1916 ihre amtliche Bedeutung verloren hatte, wurde praktisch jedoch noch bis in die 50er Jahre eingesetzt, wenn beispielsweise ein Wasserrohrbruch ein plötzliches Abstellen des Wassers erforderlich machte, nach dem Zweiten Weltkrieg Sonderzuteilungen von Lebensmitteln anstanden oder auch wenn Privatinteressen verkündet werden sollten; bei letzteren wurde für das Ausschellen eine Gebühr von 3 Mark erhoben. Vielerorts wurden in den 50er Jahren Ortsrufanlagen installiert; auch in Plankstadt wurde darüber debattiert, dann jedoch auf eine solche Anlage verzichtet. Heute nimmt das wöchentlich erscheinende Mitteilungsblatt der Gemeinde diese Aufgabe wahr.

Die Plankstadter Zeitung erschien dienstags, donnerstags und samstags. Das Blatt, das umfassende Informationen über das dörfliche und regionale Geschehen brachte, war sehr beliebt, denn die Menschen schätzten Ernst Helfrichs Stil und vor allem auch seinen Humor. Das Blatt erschien im Jahr 1935 immerhin in 735 Exemplaren, was für seine Akzeptanz unter den Bürgern spricht. Ab dem 1. April 1935 war dann das Bekanntmachungsorgan der Gemeinde das „Hakenkreuzbanner.“ Am 1. Februar 1936 mußte die Plankstadter Zeitung ihr Erscheinen einstellen, denn sie hielt der nationalsozialistischen Vereinheitlichung des Pressewesens nicht stand und Ernst Helfrich war nicht bereit und viel zu standhaft, als daß er seine politische Einstellung und damit sich selbst sowie seine Zeitung der NS-Ideologie unterworfen hätte. Zwar mußte Helfrich einen Teil seiner Druckmaschinen abliefern; persönlich war er jedoch viel zu clever und zu geschickt, als daß er sich durch Unbedachtheit in Gefahr für Leib und Leben gebracht hätte. Abt Fidelis Ruppert OSB erinnert sich an einen Spruch, der von Ernst Helfrich selbst stammt: "Der Helfrich hat kein Briefpapier, das kommt vom Hitler – wir folgen Dir!" 

Nach dem Krieg druckte Ernst Helfrich hauptsächlich noch für den privaten Auftragsbereich. Durch seine einwandfreie fachmännische Qualitätsarbeit und eine nahezu konkurrenzlose Preisgestaltung war er über Plankstadt hinaus bekannt. Das Schreibwarengeschäft mit der kleinen Druckerei bestand bis zum 30. Juni 1970, dann erst trat Ernst Helfrich im Alter von 77 Jahren den Ruhestand an, der ihm jedoch nur noch fünf Jahre vergönnt war. Die Schulkinder waren ihm bis ins hohe Alter als treue Kundschaft erhalten geblieben. Im Alter von 82 Jahren verstarb der beliebte und geachtete Geschäftsmann und Mitbürger im Dezember 1975 und Plankstadt war wieder um einen originellen Menschen ärmer geworden.

(created on 25. September 2018)