Religiöses Brauchtum im Wandel

Flur- und Bittprozessionen in früherer Zeit

Bittgang

In den Tagen vor dem Fest Christi Himmelfahrt oder auch am Festtag selbst (40 Tage nach Ostern) konnte man in früherer Zeit vielerorts Prozessionen (regional bedingt auch ‚Umgänge‘ genannt) sehen, bei denen die Menschen singend und betend durch die Felder um den Ort zogen.

Diese Flurprozessionen unterschieden sich sehr stark von den festlichen und mitunter prunkvollen Fronleichnamsprozessionen 10 Tage nach Pfingsten und sie hatten auch einen völlig anderen theologischen Charakter und Hintergrund.

Es sind sogenannte Bittgänge in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte, bei denen im agrarisch geprägten Raum um eine gute Ernte, um den Schutz vor Naturgewalten und vor Hungersnöten gebetet wird. Für unsere Vorfahren galt Unheil, auch durch Unwetter, als eine Folge menschlicher Schuld. Daher hatten die Bitttage immer auch einen Bußcharakter und die liturgische Farbe ist dementsprechend violett. Durch diese Sichtweise stehen die Bitttage in einer gewissen Spannung zum freudigen Charakter der Osterzeit, die erst wieder mit dem Pfingstfest endet.

Solche Bittgänge gab es bereits in vorchristlicher Zeit, denn zu allen Zeiten war der Mensch der Natur ausgeliefert und suchte bei überirdischen Mächten Schutz und Hilfe. Der heidnische Ursprung ist also offensichtlich.

Geschichtlich lassen sich die christlichen Flurprozessionen auf eine Anordnung des Bischofs Mamertus von Vienne im Jahr 469/470 zurückverfolgen. (Mamertus, dessen Gedenktag am 11. Mai begangen wird, zählt bei uns zu den sogenannten Eisheiligen Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophia.) Fest verpflichtend für alle Kirchen Galliens wurden sie durch das Konzil von Orleans im Jahr 511 und Papst Leo III. führte die drei Bitttage vor Christi Himmelfahrt um das Jahr 800 für den gesamten Bereich der römischen Liturgie ein. 

Für unsere Vorfahren, die meist von der Landwirtschaft existentiell abhängig waren, bedeutete ein verregneter Sommer oder eine verhagelte Ernte Not bis hin zu Ruin und Tod. Und obwohl Prozessionen im Protestantismus  abgelehnt und auch von den protestantischen Landesherren verboten wurden, haben sich Flurumgänge auch in evangelischen Gemeinden bis ins 18. Jahrhundert erhalten. Das ist schon deshalb verständlich, weil die Bitte um eine gute Ernte jedem Bauern ein großes Anliegen ist, egal, ob katholisch oder evangelisch. So hatte auch der württembergische König Wilhelm I. in den Hungerjahren 1815 bis 1817 einen Feiertag mit Erntebittgottesdiensten angeregt.

In der katholischen Pfarrei Plankstadt fand die Flurprozession immer am Fest Christi Himmelfahrt statt. Nach dem Gottesdienst zogen die Gläubigen von der Kirche durch den Brühler Weg und Waldpfad aus dem Ort hinaus in die Feldflur. Vorbei an der Gänsweid ging es den Weg hinaus bis etwa in Höhe der heutigen Gaststätte der Kleintierzüchter; dort bog die Prozession nach rechts ab zum Grenzhöfer Weg und am Friedhof vorbei ging es durch die Ladenburger Straße und Schwetzinger Straße zurück zur Kirche. Dazwischen wurde in der Flur an vier Stationen um eine gute Ernte und um Schutz vor Unwetter gebetet. Zum Abschluss der kleinen Andachten wurden Felder und Prozessionsteilnehmer vom Geistlichen mit dem Wetterkreuz gesegnet. Eine Zeitzeugin erinnert sich, dass es zu Zeiten von Pfarrer Robert Friton (1937 – 1948 Pfarrer in Plankstadt) für die Flurprozession auch einen Alternativ-Prozessionsweg über Luisenstraße, Eisenbahnstraße, den Oftersheimer Weg, einen Feldweg zur verlängerten Kurfürstenstraße und dann wieder über Eisenbahn- und Luisenstraße zurück zur Kirche.

Viele dieser Flurprozessionen oder Bittgänge sind heute gar nicht mehr vorhanden. Dort, wo man dieses Brauchtum aufrechterhalten will, hat man die Form dem Lebens- und Arbeitsrhythmus angepasst und sie oft in die Abendstunden verlegt. Im Messbuch der katholischen Kirche heißt es dazu heute: „An den Bitt- und Quatembertagen betet die Kirche für mannigfache menschliche Anliegen, besonders für die Früchte der Erde und für das menschliche Schaffen.“ Neben der Bitte um „Bewahrung der Schöpfung“ können auch Arbeit für alle, Frieden, Brot für die Welt und Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben Motive sein. Auch in evangelischen liturgischen Anweisungen gibt es mehrere Propriums-Texte für Gottesdienste an Bitttagen, insbesondere auch als Bitte um gesegnete Arbeit, Bitte um das tägliche Brot, um verantwortlichen Umgang mit Natur und Technik, zur Überwindung sozialer Spannungen, um Frieden und Schutz des Lebens. An der unbedingten Sinnhaftigkeit solcher der Zeit angepassten Formen des Bittens ist nicht zu zweifeln.

UK

Erläuterungen

Mit Quatember bezeichnet man viermal im Jahr stattfindende, ursprünglich durch Fasten, Abstinenz, Gebet und Almosengeben ausgezeichnete Bußtage im Kirchenjahr der römisch-katholischen Kirche. Ihre Terminierung fällt ungefähr mit dem Beginn der vier Jahreszeiten zusammen.

Das Proprium enthält Texte für besondere kirchliche Anlässe, die nicht gleichbleibend sind, sondern im Laufe des Kirchenjahres wechseln.

Wetterkreuz

Das Wetterkreuz. Bei den Flurprozessionen und in der Zeit zwischen dem Fest Kreuzauffindung am 7. Mai (mancherorts auch am 6. März) und dem Fest Kreuzerhöhung am 14. September wurde früher in vielen katholischen Kirchen der Schlusssegen am Ende der Heiligen Messe als Wettersegen erteilt. Dabei wird in dieser Zeit der Wachstums- und Erntephase um gutes Wetter für den Pflanzenwuchs, um eine gute Ernte und um Verschonung vor Unwettern gebetet.

Die Plankstädter katholischen Pfarrei St. Nikolaus verfügt seit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts über ein sogenanntes Wetterkreuz. Dieses Reliqiuar enthält nach den Worten der Kauf - Urkunde einen winzigen Splitter des Kreuzes Christi. Es handelt sich hierbei wie bei vielen Reliquien um eine Glaubensfrage, wie das der einzelne sehen möchte und keineswegs um wissenschaftliche Beweise und Erläuterungen.

In den letzten Jahrzehnten – besonders seit der Neuordnung des liturgischen Kalenders durch Papst Johannes XXIII. (1881 – 1963) hat sich die Praxis der Spendung des Wettersegens stark verändert und ist heute eher regional beschränkt. So wird das Kreuz in Plankstadt auch bei anderen Gelegenheiten, besonders an Festen, zur Segensspendung und als Altarstandkreuz verwendet.

(Foto: Kobelke und Internet)