Erinnerungen an die Bierzelt - Feste

Festabend 100 Jahre TSG im Jahr 1990

Wenn wir heute von Bierzelten oder Festzelten sprechen, fällt uns wahrscheinlich sofort das Oktoberfest in München, der Canstatter Wasen, das Ketscher Backfischfest oder der Schriesheimer Mattheisenmarkt ein.

Das war in früheren Zeiten ganz anders: Wenn ein Verein im Ort ein Jubiläum feierte, dann gehörte ein Festbankett, ein Festzug, ein großes Festzelt und mehrtägige Feiern mit buntem Programm – meist von Freitag- bis Montagabend einfach dazu. In Plankstadt werden sich viele noch an die 1200-Jahrfeier der Gemeinde im Jahr 1971 erinnern, oder auch an Feuerwehr-, Sportverein- oder Gesangvereinsjubiläen; zu solchen Gelegenheiten war neben einem Vergnügungspark für die jüngere Generation meist auch ein großes Festzelt am verlängerten Waldpfad aufgebaut, vorzugsweise auf dem heutigen Bolzplatz.

Die meisten dieser Feste begannen am Freitagabend mit einem Festbankett im Zelt. Dabei wurden die offiziellen Reden geschwungen, die unvermeidlichen Ehrungen vorgenommen und Gratulationswünsche der anwesenden Politprominenz aus Gemeinde und Kreis sowie befreundeter und benachbarter Vereine überbracht. Zur musikalischen Unterhaltung trug die Feuerwehrkapelle, der Musikverein, in späteren Jahren der Fanfarenzug bei, handelte es sich um Feste der Gesangvereine, dann war natürlich die Darbietung des entsprechenden Liedgutes vom Jubelverein und auch der anderen anwesenden Sangesfreunde – auch im freundschaftlichen Wettstreit - angesagt. Bei Festen von Sportvereinen gab es auch turnerische oder tänzerische Darbietungen auf der Festzeltbühne. Dieses Programm wurde überwiegend an den Samstag- und Sonntagabenden geboten. Die Musikkapellen des Ortes waren stets gefragt und quasi im Dauereinsatz, falls nicht zusätzlich befreundete Kapellen aus der Umgebung einsprangen.

Der Sonntagmorgen begann oft mit einem musikalischen Weckruf durch die Feuerwehrkapelle oder den gastgebenden Verein. Dazu sammelten sich die Akteure ab 6 Uhr an diversen Straßenecken in der Gemeinde und erfreuten die Bewohner mit ihren Darbietungen. Man stelle sich das in heutiger Zeit vor: eine Blaskapelle würde um 6 Uhr am Sonntagmorgen an verschiedenen Stellen im Ort aufspielen, wo doch heute oft schon wegen der Kirchenglocken die Gerichte bemüht werden! Oft stand sogar ein Kirchgang auf dem Programm, der aber meist freiwillig war.

Nach dem Frühschoppen im Festzelt und dem Mittagessen stellte sich der Festzug auf, der in den meisten Fällen vom Reiterverein angeführt wurde. Die Häuser am Festzugweg waren mit Laub („das G’sträuch“) geschmückt, das am Vortag von den Festvereinsmitgliedern aus dem Wald geholt und verteilt worden war. Fahnen und Gesträuch schmückten die Häuser: die meisten Hausbesitzer verfügten über eine eigene Fahne, oft in den Nationalfarben, oft aber auch in den Kirchenfarben gelb-weiß, blau-weiß oder rot-weiß – jeder hängte die Fahne raus, die er eben hatte. Den schmucken Reitern – früher machte Plankstadt mit seinem Reiterverein dem überlieferten Spruch „Mer hewwe Gail“ noch alle Ehre - mit schwarzen Stiefeln, weißen Hosen, roten Jacken und schwarzen Mützen sowie der dunkelroten Standarte folgten die teilnehmenden Vereine und die Musikkapellen. Damit man auch wusste, wer da marschierte, gab es die „Täfelesbuben“, die eine Tafel mit Zugnummer und dem Namen des betreffenden Vereins vorantrugen. Die Buben wurden aus der Ortsjugend rekrutiert und bekamen für ihren Dienst ein kleines Taschengeld oder im Festzelt einen Imbiss spendiert. Dieser Dienst war bei den Buben sehr begehrt und es konnte schon mal zu Streitereien kommen, wer nun eine Tafel tragen durfte und wer nicht. Am Schluss des Festzuges marschierte der Jubelverein mit all seinen Honoratioren und den Ehrendamen. Selbstverständlich führten alle teilnehmenden Vereine auch ihre prächtig bestickten Vereinsfahnen mit.  Nach dem Festzug, der immer am Festplatz endete, trafen sich alle im Festzelt und die teilnehmenden Vereine erfreuten meist die Besucher mit ihren Darbietungen. Dies setzte sich dann am Abend fort.

Am Montagabend war meist ein buntes Unterhaltungsprogramm geboten, bei dem auch auswärtige Künstler – je nach Finanzlage des Vereins – engagiert wurden. Im Programm war dann meist zu lesen: „Bunter Abend mit bekannten Künstlern aus Funk und Fernsehen“. Absolute Promis konnten dabei wegen der Gagen natürlich meist nicht aufgeboten werden; eine Ausnahme bildete dabei der Bunte Abend bei der 1200-Jahrfeier, bei dem so bekannte Stars wie Roberto Blanco, Heino oder das Medium-Terzett auftraten. Bei einem anderen Vereinsjubiläum, das allerdings nicht im Zelt, sondern schon in der Mehrzweckhalle stattfand, trat das bekannte Schlagerduo Cindy & Bert auf.

Am Montagnachmittag war immer die Kinderbelustigung angesagt. Und die war ohne das „Wurst-Schnappen“ nicht denkbar. Es ist oft nicht mehr erinnerlich, was sonst noch an allerlei lustigen Programmpunkten angeboten wurde, an das „Wurst-Schnappen“ erinnern sich noch viele, war es doch nicht nur eine Belustigung für die Jugend, sondern dem Sieger winkte auch noch als Preis eine Servelat! Welch‘ ein Preis! Die Spielregel war einfach: Ein Vereinsmitglied stand auf der Bühne und hatte eine Wurst an eine Art Angel gebunden. Diese schwenkte er über der vielköpfigen Menge von Kindern und Jugendlichen hin und her. Die wogende Menge musste nun versuchen, die Wurst zu ergattern, indem sie durch sportliche Sprünge – nur mit dem Mund natürlich - nach der Wurst schnappte – daher der Name! Klar, dass hochgewachsene oder sportliche Teilnehmer sich da einen Vorteil versprachen und großen Einsatz zeigten. Aber auch der Mann mit der Angel verstand es, die Wurst immer wieder im letzten Augenblick vom Mund eines vermeintlichen Siegers wegzuziehen und durch Schwenken die Position der Wurst zu wechseln. Irgendwann erbarmte sich der „Herr über die Wurst“ aber und einer ergatterte die Wurst, schließlich sollten ja auch alle bei Laune gehalten werden und das Spiel konnte von vorn beginnen. Da es immer nur um eine Servelat ging, konnte das Spiel auch längere Zeit wiederholt werden und es gab immer welche, die sich um die Wurst stritten und rissen, denn es war auch klar: sehr zimperlich durfte man in der wogenden Menge vor der Bühne nicht sein, denn schließlich waren alle Konkurrenten!

Eine weitere Belustigung gab es im Hof des katholischen Jugendheims bei Festen wie dem jährlichen Bazar oder beim Pfarrfest an Fronleichnam: dort war ein hoher Kletterbaum aufgestellt, der glatt geschält war und der bis zur Spitze erklommen werden musste, wo dann eine kleine Glocke als Beweis, dass man oben war, angeschlagen wurde. Auch hier winkte dem erfolgreichen Jungmann eine kleine Belohnung, möglicherweise auch wieder eine der beliebten Servelat-Würste!

Ob man heute noch mit derartigen Spielen Kinder und Jugendliche locken könnte, mag mal dahingestellt und der Phantasie des heutigen Lesers vorbehalten bleiben. Jedenfalls waren gerade in den ersten Jahren nach dem Krieg die Belustigungen für Kinder und Jugendliche anderer Natur als heutzutage. Und genügsam hatte man auch zu sein, denn Geld war bei den meisten Familien knapp – der „Kerwekreuzer“ der Großeltern oder von Onkel und Tante hatten da noch einen ganz anderen Stellenwert.

Mein Großvater berichtete noch von einer Familie, wo der Vater mit seinen Kindern an die Ecke Friedrich- / Luisenstraße kam und den Kindern von dort aus die „Reitschul‘“ auf dem Messplatz am Rathaus zeigte – der optische Eindruck der Kerwe von weitem musste für die Kinder genügen, hingehen und Reitschulfahren war offenbar finanziell nicht drin!

Doch zurück zu den Festen mit Festzelt: Neben der allgemeinen logistischen Vorbereitung eines solchen Festes bei Vorstandschaft und Festausschuss waren vor allem die ehrenamtlichen Helfer gefragt, die sich sowohl um den Aufbau des Zelts als auch um den reibungslosen Ablauf des gesamten Festbetriebs bis hin zu den Aufräum- und Abbauarbeiten kümmerten. Für viele Vereinsmitglieder war diese Mitarbeit Ehrensache und viele Stunden der früher knapp bemessenen Freizeit wurden hier wie auch bei anderen Gelegenheiten im Jahr für den Verein geopfert bis hin zu Extra-Urlaubstagen. Es braucht hier gar nicht weiter beschrieben werden, dass diese früher selbstverständlich parat stehenden Helfer entweder längst verstorben oder aber ein Alter erreicht haben, wo ihnen diese Hilfen für ihren Verein nur sehr eingeschränkt oder auch gar nicht mehr möglich sind. Die jüngeren Generationen, soweit sie in den Vereinen überhaupt vorhanden sind, haben heute eine andere Denkweise, was ihr Freizeitverhalten und ihre bedingungslose Einsatzbereitschaft anbelangt.
 
Aber auch die Bevölkerung ist nicht mehr ohne weiteres in die Festzelte zu locken, besonders, wenn sie keine direkte Beziehung zum feiernden Verein haben. Das Freizeitangebot für alle ist praktisch unüberschaubar geworden und die übrige Familie ist auch nicht mehr unbedingt bereit, ihre Freizeit dem Vereinsleben unterzuordnen.

Werfen wir daher einmal einen Blick auf das Angebot, das den Menschen bei solchen größeren Bierzeltfesten gemacht wurde. Wie der Name schon sagt, war das Bierzelt der Ort, wo man sich traf, um in gemütlicher Runde, oft von Blasmusik unterhalten, ein paar feuchtfröhliche Stunden im Kreise Gleichgesinnter bei einigen Krügen Bier zu verbringen. Um auch etwas im Magen zu haben, gab es üblicherweise Servelat und Weck, allenfalls noch durch belegte Brötchen mit Hering- oder Lachsersatz ergänzt. Damit endete zumindest in der frühen Zeit nach dem Krieg das kulinarische Angebot.

An Getränken gab es neben Bier direkt vom Fass noch eine oder zwei Sorten Wein und alkoholfreie Getränke wie Bluna, Libella, Fanta, Mineralwasser, CocaCola, PepsiCola (die beiden letzteren sicher erst nach dem Krieg aus den USA zu uns gekommen und oft etwas verpönt wg. vermeintlicher Gesundheitsschädlichkeit) oder wie sie alle hießen. Papp- oder Plastikbecher waren noch nicht erfunden, der Bierkrug, das Glas oder der Strohhalm waren die Getränkeutensilien.

Wer erinnert sich nicht an die damalige Reinigung der Bierkrüge? In einer Brenk (= Zinkwanne) mit kaltem Wasser wurden die Krüge kurz ausgeschwenkt und aus dem Fass neu gefüllt, später kamen einfache Bierkrug-Waschgeräte mit feststehenden Bürsten hinzu, aber erst später! Es gab keinen Wirtschaftskontrolldienst, der heute peinlich auf die Einhaltung vieler Regeln und Vorschriften pocht und dadurch den Vereinen die Durchführung ähnlicher Feste wie früher nahezu unmöglich macht – natürlich auch zu Recht, wenn man sich an manche unappetitliche Geschichten aus früheren Festzeltbetrieben erinnert. Aber – und auch das ist eine Binsenweisheit: Krankheiten aus Mangel an hygienischen Maßnahmen sind eigentlich nicht erinnerlich und gestorben ist daran erst recht niemand!

Und wenn wir schon bei der Hygiene sind, auch ein kleiner Abstecher in den sanitären Bereich. Wo viel getrunken wird, muss auch die Entsorgung bedacht sein: Meist war hinter dem Festzelt ein kleiner Bereich mit Laubzweigen abgesteckt; dahinter verbarg sich vor einem senkrecht aufgestellten Blech eine aus einem Stück Dachkandel gefertigte Rinne in gefälliger Höhe, die schräg irgendwo in einem ausgehobenen Loch oder, wenn es sich zufällig ergab, in einem Gully endete – das perfekte Pissoir! Es war schon ein gewaltiger Fortschritt, als am heutigen Festplatz für diesen Zweck die Toilettenanlage errichtet wurde. Für größere Geschäfte oder für die weiblichen Besucher gab es höchstens ein Bretterhäuschen mit Herz, das mit fortschreitender Festdauer auch oft nicht mehr in ausreichender Weise den gängigen Sauberkeitsvorstellungen standhalten konnte. Unnötig zu sagen, dass viele männliche Festzeltbesucher besonders bei Dunkelheit ihre Notdurft überall rings um das Festzelt verrichteten. Eine Sauerei allemal, aber so war das eben, anno dazumal!

Über die Festzeit wurden das Festzelt und die darin gelagerten Vorräte von den eingeteilten Nachtwachen gut bewacht; auch dafür stellten sich ehrenamtliche Helfer zur Verfügung. Am Morgen gab es dafür dann auch ein Frühstück als Belohnung.

Landauf, landab waren Bierzeltfeste auch immer ein Ort für Auseinandersetzungen der verschiedensten Art, besonders natürlich dann, wenn infolge hohen Alkoholgenusses die eigenen Kräfte überschätzt wurden. Aber auch das war normal und aktenkundig ist darüber in Plankstadt nichts geworden.

Wellen bis zur Zeitung mit den vier großen Buchstaben schlug allerdings 1996 beim 100-jährigen Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr Plankstadt eine zum Glück nur verbale Auseinandersetzung zwischen einem Bürgermeister aus einem Nachbarort und einem Plankstädter Gemeinderat. Als die Musikkapelle im Festzelt gekonnt den Großen Zapfenstreich zu Gehör brachte, empörte sich der Bürgermeister-Gast, dass der betreffende Gemeinderat sich nicht zur Nationalhymne erhob und kräftig mitsang. Der konterte und unterstellte dem Schultheißen einen allzu starken Bierzuspruch – die Zeitungen griffen diese Kontroverse natürlich gerne auf und auch die BILD-Zeitung bekam davon Wind und berichtete darüber. Ein kleines Bonmot am Rande, aber in der Erinnerung eine historische Anekdote zum Schmunzeln!

UK

(Foto: Gemeindearchiv)