Der Gaststättenbesuch in alter Zeit

Blick in die alte Bahnhofswirtschaft an der Ecke Bahnstraße / Karl-Theodor-Straße

Die heutige Fluktuation im gastronomischen Gewerbe, die häufigem wirtschaftlichen Probleme vieler Wirte bei allem guten Willen und Engagement, die häufigen Wechsel in Pacht- und Angebotsverhältnissen, die völlig veränderten Arbeitszeiten und vor allem die veränderten Lebensgewohnheiten lassen die Gedanken oft in frühere Zeiten abschweifen, in Zeiten, in denen es in den Gaststätten noch anders zuging und die Menschen den Gaststättenbesuch anders bewerteten.

Ob diese oft beschworene „gute alte Zeit“ tatsächlich immer so gut war, wie sie später glorifizierend dargestellt wird, sei mal dahingestellt.

Wir wollen hier nur ein halbes Jahrhundert zurückblicken, in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in die Zeit der 50er bis 70er Jahre. Gaststättenbesuche für ganze Familien gehörten zu den absoluten Ausnahmen; Männer suchten schon häufiger mal die Wirtschaft auf, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen, zu plaudern, politische Gespräche zu führen (über deren Qualität wir hier nicht urteilen wollen - daran hat sich bis heute wenig geändert) oder einfach nur, um in Ruhe ein Bier oder ein Viertele zu sich nehmen. Hier galt die alte Wiener-Kaffeehaus-Regel: „Im Wirtshaus ist man nicht zu Hause und trotzdem nicht an der frischen Luft!“  Nicht die Rede soll hier auch sein von den Zeitgenossen, die sich einfach nur betrinken wollten und danach zu allerhand Ausfälligkeiten sowohl im Gasthaus als auch zu Hause neigten.
 
Der Besuch einer Gaststätte diente normalerweise nicht, wie das heute oft erwartet wird, dem Verzehr von Speisen. Meist wurde nur etwas getrunken. Dass die Gastwirte trotzdem nicht Insolvenz anmelden mussten, ist der einfachen Tatsache geschuldet, dass für nahezu alle Wirte alteingesessener Gastwirtschaften die Wirtschaft nur ein Nebenerwerb war. Das Gasthaus führte tagsüber für die wenigen Gäste die Ehefrau, Mutter oder Schwiegermutter, während der Mann die zugehörige Landwirtschaft oder Metzgerei betrieb.

Hört man heute alte Geschichten von Zeitzeugen aus alten Plankstädter Gaststätten, dann waren das wahre Zentren der Meinungsbildung. So beispielsweise im „Ochsen“ in der Schwetzinger Straße am Waldpfadeck, wo bei Metzgermeister und Gastwirt Hermann Sessler die politische Prominenz der Region mit Landrat Dr. Valentin Gaa – einem gebürtigen Plänkschter – verkehrte. Auch in anderen Gaststätten gehörten die Honoratioren des Ortes zu den Stammgästen – manchmal auch nach ihrer Profession sortiert. Die Landwirte waren häufig im „Adler“ oder in der „Sonne“ anzutreffen, Ärzte wie Dr. Klehr und Dr. Goldhofer, der Dentist Heinrich Karl oder der Apotheker Adolf Kiesecker in der „Sonne“, im „Ochsen“ oder im „Rosengarten“, wo sie Skat oder Schach spielten. Ich erinnere mich an den „Kalle-Heiner“, den Dentisten, der im Ochsen bei seinem ‚Viertele‘ auch Weisheiten von sich gab wie „Den Wein muss man kauen!“ Und nicht zu vergessen die vielen sportlich Ambitionierten in den beiden Clubhäusern, die Mitte der 50er Jahre mit viel Eigenarbeit der Vereinsmitglieder entstanden. Andere Vereinsheime entstanden eher später, vor allem als öffentliche Gaststätten. Auch politische Orientierungen der Gäste konnte man früher bestimmten Gasthäusern zuordnen.

In den meisten Gaststätten gab es die Stammtische, wo sich an bestimmten Wochentagen immer die gleichen Runden trafen, oft auch am späten Nachmittag. Ebenso gab es in den meisten Gaststätten auch die Kartenspieler-Runden, meist Skat, aber auch Schafkopf, Doppelkopf oder längst vergessene Spiele wie G’selles oder Bulles wurden gespielt – letzteres im „Erbprinzen“ mit Spielern wie beispielsweise dem Sesslers-Spetz (Malermeister Alois Sessler), dem Alfred Seitz, dem Mitsche-Schorsch, dem fast schon legendären Inhaber Georg Mitsch des „Haisls“ am Rathaus. Da dieser im Krieg beide Hände verloren hatte, steckte er seine Karten in eigens angefertigte Holzleisten – was für uns Kinder schon allein interessant war. Der „Rosengarten“ entwickelte sich später zur richtigen Tischfußballzentrale mit einem eigens dafür gegründeten Tischfußballclub; zuvor fand man im Nebenzimmer einen Billardtisch.

Da viele Gaststätten noch eigene Säle oder große Nebenzimmer hatten, wurden diese zu Vereinslokalen von Gesangvereinen, was natürlich auch eine gewisse „Gastbindung“ auch außerhalb der Probezeiten ergab. Säle gab es: im Adler, Hirsch, Löwen, Rose, Rosengarten, Sonne, Krone, Stern, Lamm und im Eichbaum. Wer keinen Saal hatte, verfügte zumindest über ein großes Nebenzimmer. Diese Säle dienten ja nicht nur den wöchentlichen Probezwecken von Gesangsvereinen, sondern waren für die Vereine auch Heimat für ihre jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen wie Mitgliederversammlungen,  Familienfeiern, Fastnachtsveranstaltungen wie die beliebten Kappenabende, Ehrungsabende und Weihnachtsfeiern. Hin und wieder fanden in den Sälen an Samstagabenden auch Tanzveranstaltungen statt, die in der Zeitung angekündigt wurden. Einmal im Jahr aber öffneten die Säle für alle Plänkschter, Männlein wie Weiblein und das war zur Feier der Kerwe am 3. Sonntag im Oktober. Aber auch hier ließ sich die Bindung der Gäste an bestimmte Gaststätten nicht ganz verheimlichen.
 
Was die Nebenzimmer anbelangt, die oft so dringend für Vereins- und Vorstandssitzungen benötigt werden, so sieht es in Plankstadt heute immer schlechter aus. Wie schon gesagt, hatte früher jedes Gasthaus so eine Räumlichkeit, selbst der umgebaute Ochsen. Dort hatte in den 50er Jahren Metzgermeister Hermann Sessler seine Tätigkeit als Wirt aufgegeben, ein Haus mit Küche, sanitären Räumen und einigen Fremdenzimmern daneben gebaut und an die Familie Himmelhahn aus Mannheim verpachtet. Danach kaufte das Haus Hermann Essenpreis und von ihm übernahm Schwiegersohn Robert Betz die Gaststätte. Robert Betz gehört heute schon zu den Legenden unter den Plänkschter Wirten. Als ehemaliger Fremdenlegionär war er selbstredend in den Geheimnissen der französischen Küche bestens bewandert und setzte dies auch in seinem Speisenangebot um. Bei ihm konnte man die damals zumindest in Plankstadt noch exotischen Köstlichkeiten wie Weinbergschnecken, Choucroute Alsacienne  oder Entrecote genießen und wehe, man rief bei einem seiner Gerichte nach Pfeffer- und Salzstreuer! „Was aus meiner Küche kommt, ist gut und ausgewogen gewürzt, da muss nichts nachgewürzt werden“, bekam der Gast in solchen Fällen barsch und abschließend zu hören. Viele Stammtischfreunde trafen sich bei Robert Betz, der ein schier unerschöpfliches Repertoire an Erzählungen aus seinem bewegten Leben parat hatte. Leider konnte er seinen Ruhestand nicht mehr lange genießen; nach schwerer Erkrankung verstarb der beliebte Mitbürger bald nach seinem Wegzug aus Plankstadt in seinem gerade neu gebauten Domizil in Neckargerach. Auch viele seiner damaligen Stammtischgäste weilen längst nicht mehr unter uns.
 
Das Speisenangebot war in den meisten alten Dorfgaststätten überschaubar; einen Unterschied machte lediglich aus, ob es sich um eine Gaststätte mit angeschlossener Metzgerei handelte. Besonders an Schlachttagen gab es die üblichen Schlachtangebote, also Wellfleisch, Schlachtplatte, frische Blut-, Leber- und Bratwurst. Auch frischer Schweinepfeffer gehörte dazu; Wurstsuppe eher seltener, diese wurde an die Nachbarn verschenkt, die morgens ihre Milchkanne in den Hof gestellt hatten. Wenn man überhaupt in den Wirtshäusern ein Mittagessen bekam, dann meist nur das, was die Wirtin sowieso an diesem Tag ihrer Familie auftischte. Im „Hirsch“ beispielsweise war dies noch viele Jahre bis in unsere Zeit der Fall. Heute kennen wir das nur noch von Landgasthöfen in Bayern, wo beispielweise ein Schweinebraten mit Knödeln meist noch auf der mittäglichen Karte steht. Wenn es überhaupt eine Speisekarte gab, war diese keinesfalls überbordend: Bratwurst, ein Paar Servelat, ein Paar Wienerle und kalte Speisen wie mit Hausmacher Wurst, Rippchen (manchmal mit Sauerkraut) oder mit Schinken belegte Brote oder das legendäre Restaurationsbrot, das es in jeder gutbürgerlichen Gaststätte gab.

Eine Ausnahme bildete natürlich das Kerwe-Wochenende von Kerwesamstag bis Kerwemontag! Für diese großen Festtage in der Gemeinde warben die Wirte sogar mit Zeitungsanzeigen, dass Küche und Keller Besonderes für die Gäste bereithielten. Kerwe war das einzige Fest im Jahr, wo auch der Normalbürger seine Frau mit ins Gasthaus nahm. Geschäftsleute suchten die Gasthäuser auf, um durch ihren Verzehr das gute Verhältnis zu ihrer Kundschaft zu demonstrieren. Früher hatte man auch keinen ganzen Kasten Bier im Haus; Bier wurde flaschenweise in der Gaststätte, in Kolonialwarengeschäften oder auch in einer der zahlreichen Flaschenbierhandlungen erworben, die zu Beginn der 50-er Jahre überall als kleiner privater Nebenerwerb wie Pilze aus dem Boden schossen. Getränkemärkte waren noch nicht bekannt, höchstens man kaufte direkt beim Sodawasser-Wiest in der Stefanienstraße. Die heute noch existierende Firma Getränke-Streck gehörte zu den ersten Getränkemärkten, wenn auch nicht im Ausmaß heutiger Märkte.

Noch ein Wort zum beliebten Restaurationsbrot: Was war es und woher kam der Name? Letzteres weiß niemand so genau: man liest, der Name käme einfach daher, dass es im Restaurant angeboten wurde. Wieder andere greifen etwas tiefer und erklären den Begriff so: Der Begriff "Restauration" bedeutet ja "wiederherstellen". Wir hatten hier eine Gaststätte, die den Namen "Restauration zum Rosengarten" führte. Natürlich könnte man sagen, eben ein Restaurant. Wer aber weiter denkt, dem wird klar, dass der Besuch dieser Gaststätte auch eine Wiederherstellung der eigenen Befindlichkeit ist, sei es bezüglich des Löschens des Durstes oder des Stillens von Hunger. Danach fühlt man sich restauriert, also wiederhergestellt! Und eben dazu gehört das Restaurationsbrot, ein üppig belegtes, herzhaftes Brot, nach dessen Genuss die Lebensgeister wiederkehren. Es gab, auch regional bedingt, viele Variationen; für mich ist beim Restaurationsbrot ganz entscheidend gewesen - egal, mit welchen Köstlichkeiten es belegt war (Wurst, Schinken, Käsescheiben, Ei, Lachs, Kaviar-Ersatz oder Gurken, Rote Beete und was es sonst noch gibt), dass zum Schluss die drei aufgestellten Salzstengel mit den darüber drapierten (halb mit Paprika bestäubten) Zwiebelringen niemals fehlen durften! Leider gehört das Restaurationsbrot heute der Vergangenheit an - zumindest zumeist!

Während in anderen Landstrichen Deutschlands oft auch eingelegte gekochte Eier (Soleier) oder auch Buletten im Angebot waren, fehlte dieses Angebot in unserer Region meistens. Wer unbedingt zum Getränk etwas zum Knabbern brauchte, konnte sich an Salzstengel oder kleinen Salzbrezeln aus der Tüte laben. In manchen Gasthäusern standen auf der Theke Glasvitrinen, in denen Süßigkeiten oder Salzgebäck angeboten wurden – diese Snacks dienten meist den anwesenden Kindern zur Überbrückung der Langeweile – wenn sich die Erwachsenen zum Kauf überreden ließen. Wenn man als Kind mit dem Großvater unterwegs war, der auch höchstens bei einer Fahrradtour oder einer Wanderung durch die Feldflur einmal einkehrte, dann gab es höchstens ein „Libella“ in der charakteristischen braunen geriffelten oder ein „Bluna“ in der grünen Flasche – Cola war nämlich damals noch eher als ungesund verschrieen.

Für uns Kinder gab es in manchen Gaststätten (z.B. im „Erbprinzen“) noch eine besondere Attraktion: auf der Theke stand oft ein Gerät mit einem großen kugelförmigen Glasbehälter, in welchem gesalzene Erdnüsse angeboten wurden. Nach Einwurf eines 10-Pfennig-Stücks in den dafür vorgesehen Schlitz ließ sich eine am Fuß angebrachte Flügelschraube drehen und eine Handvoll Erdnüsse fielen in den Auswurfschacht, wo man sie entnehmen konnte.

In den 50-er Jahren waren die Fernsehgeräte erst im Kommen und wer unbedingt eine Sendung schauen wollte, musste sich schon ins Gasthaus bemühen, denn die Wirtschaften und Cafes waren die ersten, die solche Geräte hatten – allerdings waren in Wirtshäusern die Geräte nur zu besonderen Anlässen wie etwa einem Fußballländerspiel eingeschaltet – ansonsten war das gesprochene Wort Trumpf! So gab es manchmal an Samstagabenden einen kleinen Familienausflug ins Rathaus-Café zu Eugen und Erika Ehrler oder ins Café Kiefer zur Familie Hans Kiefer, um beispielsweise die Sendungen mit Peter Frankenfeld oder Hans-Joachim Kulenkampf zu verfolgen.

Auch bei sportlichen Großveranstaltungen nutzte man diese Gelegenheit; so erinnere ich mich noch lebhaft an die Winterolympiade des Jahres 1964, als sich beim Paarlauf auf dem Eis die ewigen Konkurrenten Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler auf deutscher sowie Ljudmila Beloussowa und Oleg Protopopov auf sowjetischer Seite fast wie im Kalten Krieg gegenüberstanden. Und groß war die Enttäuschung bei den Zuschauern im Cafe Kiefer, als das deutsche Paar Kilius / Bäumler bei einer sogenannten eingesprungenen Waagepirouette mit den Kufen ihrer Schlittschuhe gegeneinanderstießen und damit alle Hoffnungen auf die olympische Goldmedaille zunichte waren.

Ich erinnere mich noch an alte Fernsehgeräte, auch in Privathaushalten, an deren Rückwand ein Kästchen angebracht war, in welches man Mark-Stücke werfen musste, damit die Geräte wieder eine genau eingestellte Zeit funktionierten; war die Zeit um, mussten Münzen nachgeworfen werden, damit man die Sendung weiter verfolgen konnte. Mit dem Inhalt des Kästchens zahlten die Besitzer dann sukzessive ihre Geräte ab.

Kinder langweilen sich ja oft in Gaststätten; hier war es besonders gut, wenn der Wirt zufällig Kinder im gleichen Alter oder auch andere Gäste Kinder dabei hatten. Dann ließ sich im Hof des Gasthauses gut miteinander spielen und die Zeit überbrücken, die Vater oder Großvater im Gasthaus verweilte.

Manche der Gasthäuser hatten auch noch eine Landwirtschaft dabei – auch hier bot sich so mancher Zeitvertreib an. So erinnere ich mich an Besuche beim „Kaiser“ auf dem Grenzhof (der heutigen „Gutsschenke“), wo sich auf der weitläufigen Hofanlage wunderbar herumtollen ließ, so man einen Spielgefährten fand – außerdem gab es ja für die weniger landwirtschaftlich geprägten Kinder auch viel zu sehen.
 
So wird wohl jeder seine persönlichen Erinnerungen an frühe Gaststättenbesuche, an Wirtinnen und Wirte und an die Aufenthalte dort haben. Schwer zu begreifen, dass sich gerade in diesem Punkt bei stark verbesserten Einkommenslagen die Lage der Gastwirtschaften bis heute immer weiter verschlechtert haben. Verständlich wird es vielleicht mehr bei einer Betrachtung der völlig veränderten Lebensgewohnheiten und auch eines völlig anderen Freizeitverhaltens der Menschen in heutiger Zeit.
 
UK (Foto: Gemeindearchiv)

Foto: Blick in die alte Bahnhofswirtschaft an der Ecke Bahnstraße / Karl-Theodor-Straße