„Koppelöcher, Gwedschekuche unn annere Bletze“ - Wie sich die Zeiten ändern

Zeitze-Loch

Die bekannten Plänkschter Abenteuerspielplätze waren früher nicht etwa von der Gemeinde sorgfältig angelegt und mit Geräten ausgestattet, die TÜV-geprüft die kleinen und jungen Nutzer vor Verletzungen und anderem Unbill schützten, wie dies heutzutage der Fall sein muss, sondern die Orte waren von den jungen Nutzern rund um den Ort selbst ausgespäht, ausgesucht und für geeignet befunden worden.

Sie lagen auch mitnichten im unmittelbaren Zugriffsbereich der Erziehungsberechtigten (ein Begriff, der auch erst später aufkam, bei uns hieß das damals noch „Mamme unn Bappe“, allenfalls noch  Eltern. Je weiter sie von zu Hause weg lagen, desto beliebter waren sie meistens. Und da gab es viele: die Bellen (das heutige Eppelheimer Wäldchen), das Dolle-Loch an der Bahnstrecke in Höhe der heutigen Ringstraße, das Zeitze-Loch ebenfalls an der Bahnlinie am Frühmeßpädl, die Hecken entlang der Bahnlinie mit der berühmten Achter-Höhle (so benannt, weil darin ein Streckenmarkierungsstein der Bahn mit der Ziffer 8 zu finden war), die Feldflur bis hinaus zur Schützenhütte und den angrenzenden Grenzhöfer Wald – all dies waren die bevorzugten Abenteuergebiete der Plänkschter Kinder und Jugendlichen.

Was konnte man da nicht alles erleben: in den Bellen gab es allerhand Kleingetier wie Eidechsen, Frösche, Molche, ja sogar Salamander in den Tümpeln, das man unter Umständen auch im häuslichen Garten einsetzen konnte – mitunter konnte es auch mal vorkommen, dass als „Mutprobe“ ein Regenwurm verspeist wurde, gestorben ist daran niemals jemand. Im Dolle-Loch konnte man zwischen dort abgelegten großen Steinblöcken gut Lagerfeuer entfachen oder sich bei Schnee im Winter mit dem Schlitten die steile Böschung hinunterstürzen. Das wesentlich flachere „Brehme-Loch“  zwischen verlängerter Kurfürstenstraße und Oftersheimer Gemarkung eignete sich meist nur zum Schlittenfahren im Winter. Das Zeitze-Loch mit seinem dichten Schilfbewuchs eignete sich dagegen als Versteck bei allerhand Abenteuerspielen vortrefflich. An Ratten oder anderes Ungeziefer dachte niemand und Angst hatte man davor sowieso nicht, denn meist war man bei den Spielen in irgendeiner Form mit Holzgewehren, Holzschwertern oder Knüppeln „bewaffnet“ und konnte sich im Falle eines Falles wehren. Überhaupt war die Wehrhaftigkeit von großer Bedeutung, denn nicht selten kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen rivalisierenden „Banden“, oder auch zwischen Plänkschtern und Schwetzingern. Als „Demarkationslinie“ diente in diesem Fall nicht selten die alte Bahnlinie Schwetzingen – Heidelberg oder Karlsruhe – Mannheim / Friedrichsfeld – letztere hauptsächlich für die Banden des „Unterdorfes“ im Kampf gegen die Schwetzinger „Schlossgaade-Bankert“! Die „Ausrüstungs- und Bewaffnungsgegenstände“ der jungen „Kämpfer“ gab es damals noch nicht zu kaufen; alles wurde selbst irgendwie hergestellt und der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Phantasie war bei allen Spielen vonnöten; heute verarmt diese Fähigkeit mehr und mehr, da Fernsehen, Computer usw. dem User alle Bilder vorgeben und man sich nicht mehr selbst um ein Bild zu bemühen braucht.

Die Bahnlinien boten einen großen Vorteil: stets war ausreichend „Kriegsmaterial“ in Form von den Schrotten des Gleisbettes vorhanden, mit denen sich die Banden oft bekämpften. Mit diesen Wurfgeschossen konnte man die Gegner auf Distanz halten oder gar in die Flucht schlagen und so den Sieg davontragen. Von größeren Verletzungen war eigentlich nie die Rede; schlimmstenfalls konnte man ein „Koppeloch“ davontragen, wenn man mal getroffen wurde.

Von „Koppelöchern“ ist heute nicht mehr die Rede; heute würde in solchen Fällen durch die Eltern die Polizei, der Rechtsanwalt und auf jeden Fall die Notfallambulanz im Krankenhaus eingeschaltet und weitere unangenehme Komplikationen herausbeschworen. Schuldige brauchten damals nicht gesucht werden, denn die Schuld lag immer bei einem selbst! „Heedsch uffgebasst“ oder „In Zukunfd lesch des bleiwe!“ – so meist der Kommentar daheim, wenn dort überhaupt von Missgeschicken Kenntnis genommen wurde. Heute wäre da sofort von Körperverletzung oder „Schädel-Hirn-Traumata“ oder ähnlichem die Rede; Schuldige, so man sie ausmachen könnte, würden zur Rechenschaft gezogen und der Schriftverkehr zwischen Krankenkassen und Haftpflichtversicherungen wäre beträchtlich und mühsam – ganz abgesehen von den entstehenden Kosten. Dass man mal kleinere Verletzungen, die sogenannten „Bletze“ (blaue Flecken, Schrammen oder kleine Schnittwunden, höchstens mal ein verlorener Zahn) davontrug, war keiner großen Rede wert und gehörte zu den normalen Misslichkeiten des kindlichen Alltagsspiels. Eine andere Verletzung, die sich die Buben früher oft beim Fußballspiel auf den alten Schlacke- oder Splitplätzen zuzogen, waren die sogenannten „Gwedschekuche“, großflächige Hautabschürfungen, die dann verkrusteten und die natürlich auch lange schmerzten (der Begriff kommt wohl von der Farbe der Wunden). Fast nie wurde ein Arzt deshalb aufgesucht, bei schlimmen Fällen konnte auch mal die Gemeindeschwester helfen. Das waren meist Diakonissen oder auf katholischer Seite Ordensschwestern, die in den Gemeinden für die Krankenpflege zuständig waren.

Da es keine Handys gab, konnte man weder daheim anrufen (und vor allem auch nicht angerufen werden), noch konnte man sich mit Freunden verabreden. Ein Telefon hatten damals Ärzte und Geschäftsleute, nicht aber der Normalbürger – das kam erst später. Man ging dann einfach hin und schellte, klopfte oder man hatte einen zuvor ausgemachten Signalruf, der die Freunde auf den Plan rief.

Bei Gruppen- oder Mannschaftsspielen wurden die Mitspieler der Gruppen gewählt: wer gut war, wurde immer gewählt, wer schlecht war, durfte nur im äußersten Notfall mitspielen oder musste zugucken – mit diesen Enttäuschungen lernte man zu leben. Wer mal das Klassenziel in der Schule nicht erreichte, musste auch damit leben und meist hatte man nach relativ kurzer Frust- und Enttäuschungszeit wieder neue Freunde gefunden und sich integriert. Ob kleine Verletzungen oder große Enttäuschungen – dies alles wurde unter „Lebenserfahrung sammeln“ verbucht. Die Frage nach dem pädagogischen Wert der Spiele stellte sich früher nicht, wichtig war, dass sie den Beteiligten Spaß machten! Schon aus Gründen der „political correctness“ wären Spiele wie „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann“ oder „Kaiser, wieviel Schritte schenkst du mir?“ heutzutage verpönt.
Ein besondere Art „Abenteuerspielplatz“ bildete auch die alte Müllkippe am Bruchhäuser Weg. Dorthin brachten die Plänkschter selbst mit dem „Feldwejjele“ ihren Müll. Dort wurde alles, aber auch wirklich alles, abgeladen, was man loswerden wollte. Klar, dass es dort für die Buben auch  allerhand zu entdecken gab, was sie brauchen konnten. Nur musste darauf geachtet werden, dass man nicht vom „Hasen – Jackl“ (wegen seiner verkrümmten Hand auch „Batschhändl“ genannt) erwischt wurde, der für eine gewisse Ordnung auf dem Gelände sorgte.
 
Die Eltern wussten meist wenig oder gar nichts von den Abenteuern ihres Nachwuchses und bei Verletzungen waren sie höchstens bereit, die Wunde mit Jod zu versorgen und zu verpflastern, was man aber tunlichst vermied, denn der Gedanke an das Jod ließ so manche Wunde auch ohne elterliche Hilfe schneller heilen.  Ein Angehöriger dieser Nachkriegsgeneration stellte einmal treffend fest: „Meine Mutter hat mich nachmittags nicht zu sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen oder Weiterbildungen gefahren, aber entscheidend war, dass sie daheim war, wenn ich vom Spielen kam.“ Dieser lapidaren Aussage ist eigentlich nichts hinzuzufügen!

Wer sich an diese Zeiten noch erinnern kann, dem wird auch in den Sinn kommen, dass bei allen Auseinandersetzungen untereinander große Brutalitäten damals fast ausgeschlossen waren!

Meist gab es ungeschriebene Spielregeln: wer bei Kämpfen schon am Boden lag und aufgegeben hatte, der wurde auch nicht noch weiter attackiert und höchstens in die Flucht geschlagen. Es gab auch beim Kinderspiel Wertvorstellungen und Grenzen, die eingehalten wurden, was man heutzutage nicht immer erwarten kann. Ob daran die im Fernsehen und bei Spielen am PC dargestellten Brutalitäten schuld sind, ist schon in vielen Diskussionen erörtert worden.

Woher das kam, ist auch auszumachen: Kindern und Jugendlichen wurde vom Elternhaus, von Schule und Kirche frühzeitig verdeutlicht, was „man macht und was nicht“! So war die Aussage „Des meschd ma ned!“ in den Köpfen der Kinder früh verankert und wirkte sich auch auf den gegenseitigen Umgang im Spielverhalten aus. Dass dies auch vom jeweiligen „Gegner“ meist anerkannt und umgesetzt wurde, zeigt, dass es einen gewissen Konsens in der  Welt der Erwachsenen bei der Erziehung der Kinder gegeben haben muss.

Zu den festen Regeln gehörte es auch, dass es Zeiten gab, in denen man sich nicht mehr auf den Straßen oder gar außerhalb des Ortes aufhielt. In vielen Fällen war es noch die Abendglocke von den beiden Kirchen um 19 Uhr, die deutlich signalisierte, dass es höchste Zeit war, heimzugehen. Es war früher unvorstellbar, dass Kinder sich noch bei Dunkelheit im Ort herumtrieben und sich allerhand einfallen lassen – vom Rauchen bis zum übermäßigen Alkohol- oder gar Drogengenuss! Harmlos dagegen frühere Lausbubenstreiche wie Schellendrücken oder die „Ladenreiber“ hochzustellen, so dass die Hausbesitzer ihren Fensterladen am Morgen nicht von innen richtig zu öffnen vermochten. Es steht zu vermuten, dass der Wert des Eigentumsbegriffs in den Köpfen präsenter war als die heute zu sein scheint.

Und noch etwas fällt auf: Der Begriff der Rücksichtnahme – und damit eng verbunden ist auch der Respekt und die Achtung älterer Mitmenschen – war meines Erachtens in früherer Zeit ausgeprägter. Die Kinder wussten meist schon, wo sie andere behinderten oder wo es angebracht war, Rücksicht zu nehmen.
Nun soll hier nicht gesagt werden, dass früher alles wunderbar war und dass wir früher besser waren. Sicher waren Kinder und Jugendliche auch damals allerlei Gefahren ausgesetzt und manches ging natürlich auch schief oder wurde geahndet. Nichts soll beschönigt oder gar schön geredet werden. Aber es wurde vieles auch nicht überbewertet und man wuchs vielleicht mit mehr Normalität und Gelassenheit auf, als dies heute oft der Fall zu sein scheint. Wir könnten nun lange darüber diskutieren, was besser oder schlechter war und es gäbe dazu wohl die unterschiedlichsten Meinungen. Aber eines dürfte wohl auch klar sein: Es gab früher viel mehr allgemein gesellschaftlich konsensfähiges Gedankengut, das in der Gesellschaft etabliert war. Bei der heute überall festzustellenden Individualisierung  wird es immer schwerer, allgemein gültige Verhaltensregeln festzulegen, auch wenn diese noch so sinnvoll wären.

(Erläuterungen:  Koppeloch = Platzwunde am Kopf; Bletze = kleine Verletzung, Hämatom, kleine Schnitt- ,Schürf- oder Kratzwunden; Gwedschekuche = größere verkrustete Hautabschürfung; Schrotten = Bestandteile des Gleisbettes, Steine zwischen oder unter den Schienen der Bahngleise)

UK
(Foto: Frau Dr. Erichsen)