Sprachliche Kursiositäten im Plänkschder Dialekt

Moarebroudhiedl
Beispiel für ein „Moarebroudhiedl“

Manchmal, wenn man mit älteren Plänkschdern ins Gespräch kommt, tauchen hin und wieder Worte auf, die man selten hört oder benutzt, auch wenn man des Plankstädter Dialektes mächtig ist und ihn auch täglich spricht.

Eines dieser Worte benutzte ich spontan kürzlich beim Anblick eines Bekannten, der einen Hut trug. Nun weiß jeder, dass Hut nicht gleich Hut ist - es braucht hier nicht aufgezählt, welche unterschiedlichen Hutsorten man kennt und zu welchen Anlässen sie getragen werden.
Eine ganz bestimmte Art eines Hütchens, welches dem männlichen Haupt zur Zierde und zum Schutz gereichen kann, kennt man bei uns unter der Bezeichnung „Moarebroudhiedl“ (= Magenbrothütchen). Jüngere Plankstädter und besonders Auswärtige können sich zunächst mal unter dem Begriff gar nichts Konkretes vorstellen und können sich somit auch kein Bild dieser Kopfbedeckung machen.
 
Die meisten von uns wissen, was Magenbrot ist, nämlich jenes Süßgebäck, das seit dem 19. Jahrhundert an den Süßigkeitsständen auf Kerweplätzen, Jahrmärkten oderWeihnachtsmärkten feilgeboten wird. Mitunter ist es heute auch schon ganzjährig in den Regalen von großen Discounterketten zu sehen. Was hat dieses lebkuchenartige Gebäck, meist in Rautenform geschnitten und mit Schokolade überzogen, mit dem Magen zu tun? Die einfachste und vielleicht auch am meisten einleuchtende Erklärung ist, dass die darin enthaltenen Gewürzzutaten (Gewürznelken, Sternanis, Zimt und Muskatblüten) allgemein als magenfreundlich gelten. Übrigen hat der frühere Oftersheimer Bürgermeister und Heimatforscher Karl Frei (1913 - 2002) in seinem Buch „Schbrooch un Schbrisch“ den Begriff „Magen“ im Dialekt „Móóre“ mit einem Akzent über dem Buchstaben über dem ‚o‘ geschrieben, (ob es dafür aber eine feste Regel gibt, entzieht sich meiner Kenntnis); der Nasallaut „oa“ in unserer Gegend widersetzt sich eigentlich einer deutschen Schreibweise und am besten kommt man dahinter, wenn man das Wort im Dialekt laut vor sich hin sagt.
 
Schwieriger wird es, wenn man sich nun auf die Suche nach einem Zusammenhang mit einer bestimmten männlichen Kopfbedeckung, dem „Moarebroudhiedl“, also hochdeutsch ausgedrückt, dem „Magenbrothütchen“ macht! Um es gleich vorwegzunehmen: eine Erklärung hierfür gibt es nach langer Recherche nicht! Möglicherweise gab es Magenbrotverkäufer, die ein solches Hütchen trugen, vielleicht hatten auch manche männliche Besucher eines Volksfestes, die eine Tüte des Gebäcks erstanden, ein solches Hütchen zum „leichten Bieranzug“ oder zum „Freibierkragen“ auf - man weiß es nicht und dieses Geheimnis wird wohl auch im Dunkel der Geschichte bleiben!
 
Wie haben wir uns nun aber ein solches Hütchen vorzustellen? Zum Glück ist das Hütchen noch nicht ausgestorben und erfreut sich bei manchen Zeitgenossen auch heute noch großer Beliebtheit! Auch in der Künstlerszene ist es zu finden: So z:b. bei dem fränkischen Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, der unter dem Pseudonym „Erwín Pelzig“ seine eigene Fernsehsendung hat. Auch der Comedian Tom Gerhardt als „Hausmeister Krause“ hat ein solches Hütchen als Erkennungsmerkmal. Und auch in die große Politik hat es der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker immer wieder eingebracht, wenn er nicht gerade mit russischer Pelzmütze zu sehen war. Und ganz selbstverständlich gab und gibt es auch hier bei uns in Plankstadt zahlreiche Männer, die ein solches Hütchen ihr eigen nennen konnten. Sicher wird dem Leser der eine oder andere einfallen.
 
Beispiel für ein „Moarebroudhiedl“
(= Magenbrothütchen)
 
Und schon sind zwei weitere Begriffe aufgetaucht, die heute längst nicht mehr an der Tagesordnung bzw. im aktiven Sprachgebrauch sind, der „leichte Bieranzug“ und der „Freibierkragen“. Allerdings kann man zu diesen Begriffen in der einschlägigen Literatur noch immer Erklärungen finden. So versteht man unter dem „leichten Bieranzug“ eine bequeme Hose, Hemd, Jackett (möglichst nicht zu einem feinen Anzug gehörend, sondern besser etwas Derberes). Vielfach bestanden diese Freizeitanzüge aus stark chemiefaserhaltigem Material, so dass sie bei wenig Eigengewicht von allein eine gewisse Festigkeit aufwiesen, trotzdem aber sommerlich leicht waren. Der „Freibierkragen“ gehört, wie der Name schon andeutet, zur Freizeitkleidung männlicher Teilnehmer bei Ausflügen, besonders im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Es handelt sich um den Hemdkragen, der über den Sakkokragen herausgeschlagen wird - meist eben bei feuchtfröhlichen Herrenausflügen - und der natürlich ohne Krawatte getragen wird. So konnte man in Zeitungsberichten oft lesen: "Beim Ausflug des Gesangsvereins „Stimmbruch“ trugen die meisten Freibierkragen zum leichten Bieranzug" - und jeder Leser wusste gleich, wie die Ausflügler gekleidet waren. In Zeiten, in denen die Jeans und das T-Shirt noch nicht ihren Siegeszug um die Welkt angetreten hatten, wies diese Art der Oberbekleidung zwar auf eine Freizeitveranstaltung hin, entbehrte aber dennoch nicht einer gewissen ‚Eleganz‘ und unterschied sich damals deutlich von der Werktagskleidung, zumal an Sonn- und Feiertagen, an denen Festtagskleidung noch obligatorisch war.

Ein weiterer Begriff, über den wir dieser Tage gesprochen haben, ist der „Kiechlbrodd“. Auch hier konnte ich mehrere Plänkschder finden, denen der Begriff nichts mehr sagte aber auch viele andere, die sich darunter jemand vorstellen konnten und die auch Namen nannten, die hier jedoch aus Datenschutzgründen geheim bleiben müssen. Unter einem „Kiechlbrodd“ verstanden meine Vorfahren einen meist nicht mehr ganz jungen Mann, natürlich unverheiratet und vielleicht auch etwas altmodisch oder konservativ in seinen Ansichten und seinem Habitus, der häufig noch recht von der Mutter abhängig ist, oft noch bei ihr wohnt und versorgt wird, ansonsten aber seinem Beruf normal nachgeht. Wenn der Kiechlbrodd dann noch auf „Awaddlsfieß“ daherkommt, ein unübersetzbarer Begriff, der sich wohl auf eine etwas auffällige Gehweise des so Angesprochenen bezieht, dann kommen wir leicht in den Bereich, in dem man andere ins Lächerliche ziehen möchte. Viele kennen ja auch den Ausdruck, wenn jemand mit etwas grobschlächtigem oder schwerfälligem Gang dazu noch sehr modische Schuhe trägt: „Oudewella Fieß un Parisser Schiehlin“ (= Odenwälder Füße und Pariser Schuhe). Überhaupt wird es leicht unübersichtlich, wenn wir uns auf das weite Feld der Schimpfworte begeben. Hier müsste dann unbedingt auch die „Broochkuu“ genannt werden, ein Schimpfwort für eine dumme Frau, wie Karl Frei ausführt,
Wer kennt nicht das Schimpfwort für Lehrer, den „Haagseucher“ ? Ein früherer Schulleiter alten Schlages erklärte das Wort einmal so: „Früher gingen die Männer aus dem Wirtshaus lediglich vor die Tür, um ihr Wasser auf der Straße oder im Hof abzuschlagen. Der Lehrer aber, der ja (manchmal) zu den vielleicht etwas vornehmeren Honoratioren des Orts gehörte, ging ein paar Schritte weiter, um seine Notdurft im Schutz einer Hecke, also eine Haags, zu erledigen. So mag dieses Schimpfwort entstanden sein“

Sogar die Juristen wurden in solchen Fragen bereits bemüht: So musste sich vor einiger Zeit ein Gericht in Frankenthal in der Pfalz klären, ob die bei uns häufig angewandte Form des „Dabbschädels“ ein Schimpfwort ist oder eher doch nicht. Man wird in der Pfalz liebevoll als Dabbschädel bezeichnet, wenn man etwas falsch gemacht hat, was jedoch nicht unbedingt immer so negativ gemeint sein muss, wie es sich anhört.

Und in diesem Zusammenhang stieß ich im Gespräch mit P. Fidelis Ruppert auf ein Wort, das ich selbst nicht kannte und das er mir erläuterte. Es war das Wort „stiechem“. Es bedeutet so viel wie „heimlich“, auch „verstohlen“ und stammt aus dem Pfälzer und Elsässer Dialektgebiet, wo es auch in einschlägigen alten Wörterbüchern gelistet ist. (Beispiel: „Guck emol, wie der so stiechem do hinne steht!“
So werden ältere Leser sicher noch viele Begriffe finden, die heute aus unserer Dialekt-Sprache verschwunden sind. Sprache ist einem steten Veränderungsprozess unterworfen und so, wie wir heute neue Begriffe im Duden vorfinden, so sind in der Vergangenheit auch Begriff aus dem aktiven Sprachgebrauch verschwunden, die für unsere Vorfahren noch zum Alltag gehörten. Die heutige Mobilität der Menschen tut ein übriges, dass unsere Sprache nicht statisch bleibt, wie sie ist, sondern sich schneller verändert, als man dies aus früheren Zeiten gewohnt war.

Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs in die Welt der Fauna: Unter den vielen Tierfamilien und Tierarten kommt gerade auch im Dialekt, aber auch weit darüber hinaus bis ins Hochdeutsche des öfteren eine Spezies vor, die doch einer genaueren Betrachtung würdig ist: Wer kennt ihn nicht - oder besser - wer kennt keinen „Schmalzdackel“, den es in vielfältigen Formen und Unterarten zu geben scheint? Über die Pfälzer „Elwetritsche“ wurde schon viel geschrieben, über den Schmalzdackel ist wenig Literarisches bekannt. Meist wird das Wort nur als Schimpfwort für einen sehr eitlen Mann gebraucht, der darüber hinaus noch ein paar zusätzliche Attribute auf sich vereinigt wie Gel im Haar (früher als Pomade oder Haarcreme bekannt), dandyhaftes Auftreten, mit Frauenversteher-Blick, penetrantes Süßholz-Raspeln bei jedem sich zeigenden Rockzipfel, säuselnde Stimme (besonders bei Balz-Versuchen) und was da noch alles so zusammenkommt. Frauen benutzen das Schimpfwort oft hinsichtlich einstiger Liebhaber („Und wegen diesem Schmalzdackel habe ich das Rauchen wieder angefangen!“). Aus der Filmwelt und noch mehr aus der Show- und Musikbranche kennt jeder natürlich einige Exemplare von Schmalzdackeln und oft ist sogar im engeren Lebensumfeld der eine oder andere typische Schmalzdackel zu finden. Beispiele können hier natürlich aus rechtlichen Gründen keine angeführt werden, aber bestimmt kennen Sie auch einen, oder etwa nicht?

Aus dem Bereich der Körperpflege ist auch noch der Pomadenhengst oder auch der Lavendel-Heinrich erinnerlich, Begriffe, die sich aus dem Wort selbst erklären.

Über das in der gesamten Kurpfalz universelle Bindewörtchen „alla“ brauchen wir hier nicht mehr zu räsonieren, dieses Allerweltswort für alle möglichen Gelegenheiten ist hinlänglich bekannt. Interessant aber auch Begriffe wie „awwl“ (für: soeben, jetzt, jetzt gerade) oder „nimmi“ und ersatzweise auch „nie määh“ (für: nicht mehr oder nicht) oder auch „ebbes“ für ‚etwas‘, die sich Nicht-Einheimischen nicht ohne weiteres aus dem Satzzusammenhang erschließen. Oder denke man an die Dialektwörter „nummä“ oder „narre“ - er kann damit etwas anfangen? Im Satzzusammenhang klärt sich vielleicht die Frage etwas: „Nummä mol koa Ängschd!“ oder „Narrä koa Ängschd!“ (Für beide Beispiele gilt die Übersetzung: „Nur keine Angst!“) Schwer nachzuvollziehen und schon gar nicht sprachlich deutbar, aber doch vorhanden!
 
Und so ließen sich sicher noch viele Dialektwörter finden, die wir ganz selbstverständlich in unserer alltäglichen Dialektsprache verwenden, ohne uns Gedanken zu machen, ob unser Gegenüber diese auch verstehen und sprachlich einordnen kann.

(Verfasser: Ulrich Kobelke)

Dazu auch gleich noch ein Aufruf an alle Plänkschter: Wer noch solche alten Wörter und Sprüche kennt, sollte diese dem Gemeindearchiv melden, damit sie nicht völlig in Vergessenheit geraten. Bitte einfach eine Mail an: ulrich@kobelke.de oder aufschreiben und im Bürgerbüro für das Gemeindearchiv hinterlegen.