Erinnerungen an die alte Linie 11 der Straßenbahn Heidelberg - Schwetzingen

Letzte Straßenbahn

Ein ist schon ein paar Jährchen her, dass die Straßenbahnlinie 11 (in den letzten Jahren des Bestehens erhielt die Linie die Bezeichnung „Linie 2“) zwischen Schwetzingen-Schlossplatz und Heidelberg-Bismarckplatz verkehrte.

In den alten Zügen mit den dunklen Holzbänken und besonders in den Anhängern wurden die Fahrgäste ordentlich durchgeschüttelt - besonders auf der freien Strecke zwischen Eppelheim und Plankstadt. Die Türen zu den Plattformen standen bei angenehmer Witterung offen, der Straßenbahnfahrer fuhr die Bahn stehend. Fahrer und Schaffner waren ein Team, denn der Schaffner sorgte für Sicherheit. Durch den Wagen war eine Schnur gespannt, die an einer Glocke beim Fahrer endete; der Schaffner schellte zur Abfahrt oder rief laut "fertig", nachdem er sich durch einen Blick aus der Wagentür versichert hatte, dass keine Fahrgäste mehr einsteigen.
 
Wusste der Schaffner, dass niemand aussteigen wollte und konnte er von weitem keinen Fahrgast an der Haltestelle sehen, dann "schellte er den Fahrer durch". Je nachdem, wo in den Ortschaften der Ausstieg war, wurden die Türen vom Schaffner auf den entsprechenden Seiten mit einem Dreikantschlüssel verriegelt oder geöffnet.
 
Noch heute sind mir die Namen aller Haltestellen zwischen Schwetzingen-Schlossplatz  und Heidelberg-Bismarckplatz im Gedächtnis, denn das war damals wichtig, weil „Straßenbahn spielen“ zu unseren Kinderbeschäftigungen gehörte und da war es natürlich Ehrensache, dass man die Stationen kannte, die ausgerufen werden mussten!
 
Die Erinnerungen beziehen sich hauptsächlich auf die Strecke zwischen Plankstadt und Heidelberg, denn zwischen Plankstadt und Schwetzingen nutzte man nach Auffassung vieler älterer Plänkschter das Fahrrad oder ging eben zu Fuß über das ‚Frühmeßpädl‘; das Geld für einen Fahrschein konnte man sich bei dieser geringen Entfernung sparen. Das galt auch für den Besuch weiterführender Schulen in Schwetzingen, völlig unabhängig von den jahreszeitlichen Wetterverhältnissen war das Fahrrad das obligatorische Beförderungsmittel - das war bis auf wenige Ausnahmen allgemeiner Konsens. Auch später in fortgeschrittenem Jugendalter, als Kino- oder Gaststättenbesuche in Schwetzingen anstanden, war der nächtliche Heimweg über die Felder völlig normal und keine noch so bequeme Straßenbahnfahrt konnte den romantischen Heimweg nach Plankstadt so mancher verliebter Pärchen ersetzen!

Auf ein Zigarettchen

Selbstverständlich konnte in den Bahnen auch geraucht werden; besonders gut auf den Plattformen bei offenen Türen, aus denen man die Kippen gleich rausschnippen konnte. Die Plattformen waren auch ein beliebter Aufenthaltsort, wenn sich die Studenten morgens trafen, um gemeinsam nach Heidelberg zu fahren und vorher noch mal kräftig durchgeschüttelt zu werden. Ein vorteilhafter Aufenthaltsort waren die Plattformen auch, wenn man mit den letzten Bahnen nach ausgiebigem Heidelberg-Besuch am späten Abend nach Hause fuhr und unter Unwohlsein litt. Die Türen, die man auch beim Fahren schnell öffnen konnte, verhinderten dann eine Verunreinigung des Wageninneren. Mir ist auch in Erinnerung, dass es immr wieder Kinder gab, denen es bei Straßenbahnfahrten - vor allem bei Dunkelheit oder Regen - gerne mal schlecht wurde.
 
Für mich in besonders unangenehmer Erinnerung waren winterliche Fahren von Edingen nach Plankstadt nach dortigen Geburtstagsfeiern! Dabei musste zuerst die OEG von Edingen nach Heidelberg benutzt werden; an der Czernybrücke musste dann in die Linie 11 der HSB in Richtung Schwetzigen umgestiegen werden - für gut gefüllte empfindliche Kindermägen ein Graus!

Von wegen „barrierefrei“ !


Der Zustieg zu den alten Bahnen war alles andere als barrierefrei. Im Gegenteil, für Behinderte oder Menschen, die nicht gut zu Fuß waren, war der Einstieg außerordentlich hoch - dadurch fiel die Bahn als Beförderungsmittel für viele Menschen aus. Für zwei junge Damen aus Plankstadt, die ich kenne und die damals im zarten Alter von 14 oder 15 Jahren waren, war es eine angenehme Freizeitbeschäftigung, am Nachmittag oder frühen Abend mit der Bahn ein paar Runden hintereinander zwischen Heidelberg und Schwetzingen zu drehen, ohne an den Endhaltestellen auszusteigen. War ein Fahrer oder Schaffner auf dem Zug, der ihnen besonders gefiel, konnte es noch eine Runde mehr sein. Wahrlich harmlose Vergnügungen im Vergleich zu manch heutiger Freizeitgestaltung!
 
Die Fahrer und Schaffner waren die absoluten Herrscher auf der Bahn, höchstens noch vergleichbar mit Kapitänen auf Schiffen. Ihren Anordnungen war unbedingt Folge zu leisten. Mit ihren Uniformen und den Umhängetaschen mit den Röhren für das Kleingeld, die man als Kind auch gerne zum Nachspielen gehabt hätte, waren sie Autoritäten! Hochinteressant ihre Mappen mit den diversen Fahrscheinblöcken, von denen je nach Reiseziel ein Schein abgerissen wurde und mit der großen Zange an den entsprechenden Stellen im eingezeichneten Routen- oder Zahlgrenzenplan dann ein Loch gezwickt wurde. Es war eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn die Lochung musste stimmen, wenn ein Kontrolleur zustieg, was öfter vorkam. Allerdings kamen die Kontrolleure nicht inkognito wie heute, sondern sie waren meist ältere seriöse Herren in Uniformen. Oft waren sie zu zweit, stiegen vorn und hinten an den Haltestellen ein, so dass es keine Möglichkeit zur Flucht für etwaige Schwarzfahrer gab.
 
Die schönste Zeit der alten Straßenbahnfahrten war vorbei, als dann die neuen Gelenkzüge eingeführt wurden, bei denen die Türen nur durch den Fahrer geöffnet werden konnten. Anfangs war im hinteren Teil der Gelenkzüge ein Schaffnerplatz eingerichtet, so dass der Einstieg nur hinten möglich war. Auf den langen Strecken, wie der Linie 11, war in den Stoßzeiten an Werktagen noch ein alter Anhänger angekoppelt, der zwischen Eppelheim und Plankstadt auf Grund der Geschwindigkeit heftig schlingerte, denn nur auf dieser freien Strecke war für die Fahrer manchmal eine Verspätung aufzuholen, wovon je nach Mentalität manche Gebrauch machten.

Zur Heidelberger Straßenbahn gehörte auch die Bergbahn

Zur HSB gehört ja auch die Heidelberger Bergbahn vom Kornmarkt über die Molkenkur zum Königstuhl. Hier gibt es für mich noch ganz besondere Erinnerungen: Ein kleiner Junge aus Plankstadt litt unter Bronchialasthma. Der Arzt verordnete ihm häufige Höhenluft. Um das Jahr 1950 gab es noch keine Urlaube im Hochgebirge, es fehlte am Geld. Also behalf man sich mit dem Heidelberger Hausberg trotz seiner aus medizinischen Aspekten geringen Höhe. Die Mutter fuhr mit dem Jungen fast täglich nach Heidelberg, um ihn der gesunden Höhenluft auszusetzen und so zu seiner Genesung beizutragen.
 
Um Geld zu sparen, wurde vom Bismarckplatz aus über den Klingenteich zum Schloss gelaufen und erst ab dort die Bergbahn genutzt. Unterwegs kam man an einer Stelle vorbei, an der man auf die Gleise der Bergbahn schauen konnte. Dabei sah man die Rollen, auf denen das Zugseil lief. Die Strecke war zweispurig und man konnte immer sehen, auf welchem Gleis eine Bahn in der Talstation war und auf welchem die Bahn weiter oben war, denn nur bei der unten wartenden Bahn war das Zugseil zu sehen, die andere Rolle war leer. So erschloss sich dem kleinen Jungen schnell das Prinzip der Bergbahn. Immer wollte er noch eine Bahn abwarten, um sich zu vergewissern, dass das Seil auch an der richtigen Stelle lief. Die Bahnen kündigten sich durch ein dumpfes Poltern im dunkeln Tunnel an, was den Reiz des Zuschauens erhöhte. Aber man musste ja noch aus therapeutischen Gründen hinauf auf den Königstuhl, der Luft wegen.

Mit der Straßenbahn zur Geburt

Eine andere Möglichkeit für den Aufstieg zum Heidelberger Schloss war die lange Treppe, die hinter dem Kornmarkt beginnt und vor dem Eingang zum Schlosspark endet. Nutzte man diese Treppe, so führte der Weg an altehrwürdigen Villen am Schlossberg vorbei. Eine dieser Villen war die Villa Felseck, die von den Schwestern vom Hl. Josef im Jahr 1926 zur Einrichtung der Frauenklinik St. Elisabeth erworben wurde. Zuvor war das Frauenkrankenhaus, das nach einer Idee des Heidelberger katholischen Stadtpfarrers August Dietrich 1924 gegründet worden war, in der Eisenlohrstraße ansässig. Viele Kinder aus Heidelberg und Umgebung wurden dort unter der Obhut der Schwestern geboren. Gut erinnerlich ist mir die Geburt meiner Schwester. Als es soweit war und die Geburt anstand, fuhren meine hochschwangere Mutter und die Oma mit der Straßenbahn nach Heidelberg; ausnahmsweise wurde aus diesem besonderen Anlass vom Bismarckplatz bis zum Kornmarkt die Linie 1 durch die Hauptstraße genutzt und dann ging es zu Fuß die Treppen hinauf zum Krankenhaus. Nach dem Umzug des Krankenhaus ins neue Haus in Handschuhsheim im Jahr 1976 war dann die Anfahrt etwas leichter - außerdem hatten sich die Verhältnisse doch gewaltig gewandelt. Bedenkt man die heutigen Vorbereitungen auf eine bevorstehende Geburt, so ist eine solch beschwerliche Anreise eigentlich unvorstellbar! Trotzdem war das damals normal und alles ging auch gut! Die Straßenbahn war eben ein bewährtes Hilfsmittel in allen Lebenslagen.

Verfasser: Ulrich Kobelke